Die mündliche Urteilsbegründung in dem Augsburger Verfahren, so wie sie von Gisela Friedrichsen wiedergegeben wurde:
Das Gericht rügte auch, Lucas habe „jede Möglichkeit zur Deeskalation vergehen lassen“. Wie das? Weil er schwieg.
erinnert mich an einen älteren Blogbeitrag von Rechtsanwalt Detlev Burhoff; er schreibt:
Manchmal ist man fassungslos, oder: KG muss Tatrichter an die Auswirkungen des “nemo-tenetur-Grundsatzes” erinnern.
In seinem Beitrag berichtet Herr Burhoff über einen bekannten Richter am Amtsgericht Tiergarten, dem eine seiner Entscheidungen vom Kammergericht links und rechts um die Ohren gehauen wurde:
Da führt der Amtsrichter in seinen Urteilsgründen doch allen Ernstes zum prozessualen Verhalten des Betroffenen aus, dass sein
„Versuch…, dadurch die Aufklärung des Sachverhaltes zu verhindern oder zumindest zu erschweren, dass er sich zur Sache nicht einließ, … gescheitert ist“.
Die Begründung des Richters Thomas Junggeburth, Vorsitzender der 3. Strafkammer am Landgericht Augsburg, ähnelt fatal der Entscheidung des Berliner Verkehrsrichters, dessen berufliche Existenz nur noch an einem hauchdünnen Faden des Art. 97 GG hängt.
Das Kammergericht hat es so formuliert:
Seine Berufung auf das Schweigerecht, auf das der Tatrichter ihn zuvor hingewiesen hatte, wird damit als Mittel gewertet, dem etwas Ungehöriges anhaftet, weil es darauf abzielt, die Aufklärung des Sachverhaltes durch das Gericht zumindest zu erschweren. Diese Wertung lässt besorgen, dass der Tatrichter das dem Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare entstammende Recht zu schweigen, das zu den elementaren Wesensmerkmalen eines rechtsstaatlichen Verfahrens gehört, nicht als solches ansieht, sondern als unlauter und seine Tätigkeit unnötig erschwerend begreift.
Wenn ich die Prozeßberichte richtig verstanden habe (hier gibt es einige), ist das Verfahren gegen Stephan Lucas meiner Ansicht nach von der Staatsanwaltschaft schon im Grenzbereich des Rechtsstaats geführt worden.
Nachdem nun auch noch ein VRiLG in dieser Weise seinen Blickwinkel auf das Verfassungsrecht offenbart, scheint mir Augsburg, sofern überhaupt noch im Grenzbereich, dann aber sicher jenseits der Demarkationslinie zu liegen.