Auswahl eines Pflichtverteidigers

Der Beschuldigte wurde in flagranti erwischt. Er war kein Unbekannter, Einbruchdiebstahl scheint der Sicherung seines Lebensunterhaltes zu dienen. Deswegen wurde auch ein Haftbefehl verkündet und vollstreckt; da der Beschuldigte keinen festen Wohnsitz in Deutschland hat, gehen Staatsanwaltschaft und Haftrichter davon aus, daß er sofort abhauen wird, wenn man ihn laufen läßt Fluchtgefahr besteht.

Die freundliche Strafprozeßordnung (StPO) sieht für solche Fälle die Bestellung eines Pflichtverteidigers vor, § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO. Da der Haftrichter mit dem Ehemann der Rechtsanwältin befreundet ist, bekommt diese einen Anruf:

Ich habe Dich soeben in einem besonders schweren Fall des Diebstahls zum Pflichtverteidiger bestellt. Dein Mandant ist jetzt auf dem Weg in die Untersuchungshaftanstalt.

Die Rechtsanwältin ist aktive Gewerberechtlerin; nebenher hat sie auch sehr gute Mandanten aus Vermieterkreisen, die sie berät. Deswegen ruft sie bei einem Strafverteidiger an und fragt, was denn nun zu tun sei:

Wie komme sie denn in die Haftanstalt? Was sei denn, wenn der Mandant gar kein Deutsch spreche? Wann fände denn jetzt die Gerichtsverhandlung statt? Und wenn sie dann verhindert sei? …

Die Auswahl des Verteidigers, der einem Beschuldigten bestellt wird, liegt im freien Ermessen des Richters. Richterlicher Unabhängigkeit, die keiner Weisung unterliegen darf. Und wenn diese Unabhängigkeit dazu genutzt wird, um das Privatleben angenehmer zu gestalten, kann man dem Richter nicht in die Suppe spucken.

Die richterliche Unabhängigkeit soll den Beschuldigten schützen; so jedenfalls lautet der Ansatz. In diesem Fall sieht es danach eher nicht aus.

Der um Rat gebetene Verteidiger hat seiner Kollegin dann geraten, sofort einen Haftprüfungsantrag zu stellen, Beiordnung eines Dolmetschers und Akteneinsicht zu beantragen, dann Kontakt mit der Staatsanwaltschaft aufzunehmen und den Mandanten in der Haftanstalt zu besuchen … und vielleicht zu überlegen, ob das Mandat nicht besser bei jemandem aufgehoben ist, der sich mit Gewerbe- und Mietrecht nicht auskennt.

Dieser Beitrag wurde unter Richter veröffentlicht.

12 Antworten auf Auswahl eines Pflichtverteidigers

  1. 1
    Caron says:

    Es ist eine Sache, dass man solchen Leuten nicht direkt in die Suppe spucken kann. Vielleicht ist das ja tatsächlich nötig, damit es in wichtigeren Dingen läuft. Notwendiges Übel also.

    Aber eine weitere Karriere sollte sich bei solchen Leuten eigentlich verbieten. Wenn der Mann jemals befördert wird, dann läuft deutlich mehr falsch, als eine Gewerberechtlerin, die einen Einbrecher verteidigt.

  2. 2
    Alan Shore says:

    Das sind aber Probleme, von denen man selbst als Zivilrechtlicher schon mal im Laufe seiner Ausbildung etwas gehört haben sollte. Und bevor ich da einen Kollegen anrufe, um mich völlig zu Lollo mache, weil ich keine Ahnung habe, versuche ich es doch wenigstens mal mit einen Blick in den Kommentar oder notfalls auch mit einer Google-Suche.

    Richtig weinen wird die Gewerberechtlerin, wenn ihr aufgeht, was sie gegenüber der Staatskasse abrechnen kann…

  3. 3
    ???? says:

    Volltreffer!
    Was heutzutage die Anwaltszulassunghat, da könnte ich auch einiges…

    Aber hier geht es um kollegiale Hilfe, die die Kanzlei Hoenig wie immer souverän geleistet hat.

    Bleibt die Frage offen, ob die holde Maid jemals in ihrem Leben einen Krimi gelesen oder gesehen hat.
    Einen Teil der Fragen hätte sogar ich beantworten können.

  4. 4
    Amerikanische (Fernseh-)Verhältnisse? says:

    So ein ähnlicher Vorfall kam mal bei Law & Order: Special Victims Unit. Dort hatten die die Strafverfolger ausgekungelt, dass dem Angeklagten ein für die gegebenen Vorwürfe möglichst unpassender Verteidiger bestellt wurde (mit dem Wissen, dass er sich keinen Wahlverteidiger leisten kann).
    Wäre so etwas in D auch denkbar?

  5. 5
    Rudi says:

    Gibts in B keine Liste? In BW haben wir dafür eine Liste und wer sich da nicht draufschreiben lässt, bekommt auch nix…

  6. 6
    ???? says:

    In flagranti erwischt….

    Früher habe ich immer gedacht, dass ist, wenn der Göttergatte unerwartet eher heimkehrt, und dann muss der Liebhaber bei zehn Grad minus auf dem Balkon ausharren oder so…

    Inzwischen weiß ich, dass es wohl in den Flammen heißen soll oder in den Händen des Teufels….

    Lieber beim Satan als bei dieser Anwältin.

    Diese Dame sollte schnellstens in der Kanzlei Hoenig mit Kaffee, Keksen, heißen und kalten Getränken und der entsprechenden Fachliteratur versorgt werden. Im Gegenzug muss sie dann die Treppe wischen oder ein Wochenende am Kopierer verbringen oder weiß der Kuckuck….

    Wilhelm Brause wäre auf die nicht reingefallen.
    Der hätte gesagt: Mädel, ist jutt. Lassett…
    Pass off Mädel, ick sach dir dette und Du schreibst dit off….

  7. 7
    BV says:

    Wird man nicht üblicherweise nicht nur dann zum Pflichtverteidiger bestellt, wenn man zuvor grundsätzlich darum gebeten hat und auf eine Liste gesetzt wurde? Hat die Dame das? Und wenn ja: WTF?!

  8. 8
    Fritz says:

    @ caron:

    Ich kann Sie beruhigen. Der deutlich überwiegende Teil der Richter bleibt bis zum Lebensende im Eingangsamt, schon bereits deshalb, weil es kaum Beförderungsstellen gibt.

    Karriere machen in der Justiz übrigens nicht die mit den gut begründeten Urteilen, sondern die, die am besten schleimen können. Ist wie in der „freien Wirtschaft“ auch.

  9. 9
    Oliver says:

    Tja, leider nichts Neues. Zu erwähnen bleibt noch, daß Anwält/innen, die sich jemals getraut haben, gegen die Obrigkeit in Form eines Richters in Strafsache aufzumucken nach meinem Erfahrungsstand NIEMALS (wieder) als Pflichtverteidiger „von Amts wegen“ engagiert werden. Da nimmt man sich von Seiten der Justiz lieber auch einen Anwalt, der ebenso schleimt.

  10. 10
    Subsumtionsautomat says:

    Hmm, da spielten dann wohl ein bißchen zu offensichtlich sachfremde Erwägungen bei der Auswahl des Pflichtverteidigers eine Rolle. Und das zu Lasten des Beschuldigten – geht eigentlich gar nicht! An einem Gericht, an dem ich mal war, gab es wohl auch ein paar Kollegen, die jeweils mit Strafverteidigern verheiratet waren und dann Pflichtverteidigungen gerne über Kreuz vergaben. So hieß es zumindest. Aber immerhin haben die Beschuldigten in diesen Fällen jeweils einen Fachanwalt des passenden Faches erhalten…

    Ich versuche derartige Pflichtverteidigungen in der Regel möglichst weit zu streuen, so dass gar nicht der Verdacht entsteht, ich würde irgendwen aus sachfremden Gründen bevorzugen. Allerdings nehme ich auch nur Verteidiger, die mir persönlich bekannt sind, denn mir ist wichtig, dass sie sich für den Beschuldigten auch ordentlich einsetzen, fachlich etwas drauf haben und irgendwie auch zu dem jeweiligen Beschuldigten passen. Wobei bei letzterem natürlich immer die Frage ist, ob ich ein gutes Händchen bei dieser Form der „Kuppelei“ habe. Aber zumindest mache ich mir um so etwas Gedanken. Ein Kriterium sind zum Beispiel auch Fremdsprachenkenntnisse eines Verteidigers, denn nicht nur aus Kostengründen ist es immer besser, wenn eine Kommunikation auch ohne den fehlerträchtigen Umweg über einen Dolmetscher möglich ist.

    Schleimer haben bei mir allerdings keine Chancen! Das heißt aber nicht, dass ich nicht Wert auf vernünftige Umgangsformen – auch im Gerichtssaal – legen würde. In aller Regel dienen diese nämlich letztlich auch dem Beschuldigten. In diesem Rahmen darf dann aber durchaus auch mal hitziger diskutiert und bei unterschiedlicher Meinung auch mal ein Rechtsmittel eingelegt werden. Wer so etwas persönlich nimmt und deshalb einen bestimmten Verteidiger nicht mehr vom Amts wegen beiordnet, hat den Beruf wohl ein bißchen verfehlt…

  11. 11
    John Cage says:

    @Subsumtionsautomat

    Das finde ich sehr begrüßenswert. Daß man sich als Richter nicht unbedingt eine 60-jährige Nörgelkrähe ans Bein binden möchte, die mit viel Leidenschaft aber wenig Sachverstand die Luft im Gerichtssaal wegatmet, ist ebenso nachvollziehbar wie der Verzicht auf den engagierten Nachwuchsverteidiger mit den 60-seitigen Schriftsätzen, der seine Dissertation über die Abgrenzung von Versuch und Vollendung bis zum OLG trägt, dem drogensüchtigen Ladendieb damit aber nur wenig hilft.

    Aber leider ist es auch selten genug, daß erfahrene, umgängliche Verteidiger, die Pragmatismus und Sachverstand miteinander verbinden, bestellt werden, welche nicht immer – aber in geeigneten Fällen – die StPO auspacken.

    Ich gelte eigentlich als höflich, freundlich und sachlich. Ich bin Realist genug, zu erkennen, was in einem Strafverfahren geht, wenn ich die Sache bis hin zu einer möglichen Revision, Verfassungsbeschwerde oder Menschenrechtsbeschwerde vorab durchspiele. Realistischerweise sind die meisten Fälle eher weniger freispruchgeeignet, so daß man punktuell ansetzen muß. Entsprechend mache ich von Anträgen und Rechtsbehelfen eher wenig Gebrauch, aber wenn, dann haben sie ganz überwiegend Erfolg. Trotzdem (oder deswegen?) bin ich erst ein einziges mal von Amts wegen von irgendeinem der vielen, vielen dutzend Richter, die im Laufe der Jahre als Strafrichter an „unserem“ Gericht tätig waren, bestellt worden.

    Bestellt werden, wenn das Gericht einen Verteidiger auszuwählen hat, fast immer die üblichen drei, vier „Urteilsbegleiter“ – und zwar auch von den Proberichtern, die gerade ganz frisch das Dezernat übernommen haben. Das scheinen die „alten Hasen“ dem Nachwuchs als erstes mit auf den Weg zu geben. Ein seltsames Bild, was manche Menschen von ihrem Beruf haben.

    Aber auch Richter, die keinen „Urteilsbegleiter“ auswählen, halten oftmals nur das für kluge Strafverteidigung, was sie selbst beim Studieren der Akte im Sinn haben. Dazu zählt in der Regel, den Angeklagten zu einem Geständnis zu bewegen und alles vorzutragen, um die Rechtfolgen möglichst gering zu halten. Gute Strafverteidigung scheint in den Augen vieler Richter vor allem Strafzumessungsverteidigung und der Blick auf die Strafvollstreckung zu sein. Ich kenne viele Kollegen, die deshalb bei Richtern so beliebt sind, weil sie die besten Bewährungshelfer bzw. JVA-Sozialarbeiter sind. Soviel Engagement für Verurteilte verdient durchaus Respekt, ist aber in meinen Augen nicht in jedem Fall gute Strafverteidigung, z.B. wenn man mit einem Blick in die Akte erkennt, daß der Verurteilte sich aus materiellrechtlichen Gründen gar nicht strafbar gemacht hatte…

  12. 12
    ui-ui-ui says:

    Da in ein Wohnhaus eingebrochen wurde, und das gewerbsmäßig, müsste die Fachfrau für „Gewerbe- und Mietrecht“ doch genau die Richtige sein! :-D

    Im Ernst: Ich hoffe, die Dame hat nach erfolgter sachkundiger Beratung eine saftige Kostennote vom Strafverteidiger bekommen!