Verfassungswidrige Durchsuchung einer Strafverteidigerkanzlei

473361_web_R_B_by_Jürgen Grüneisl_pixelio.deDie Bayern mal wieder. In einer Strafsache vor dem Amtsgericht München zitierte der Verteidiger eines Arztes aus Patientenunterlagen. Dieses Material hatte der Arzt erst zusammen und dann seinem Verteidiger zur Verfügung gestellt.

Jene Patientenkarteikarten – ausschließlich in der Hand des Verteidigers – weckten die in § 244 II StPO geregelte Neugier des Amtsrichters. Der Verteidiger wollte sein Material aber nicht herausgeben. Das wiederum ließ sich der bayerische Strafrichter nicht bieten, er ordnete die Durchsuchung der Strafverteidigerkanzlei und die Beschlagnahme dieser Unterlagen an.

Weder der Arzt, und schonmal gar nicht der Verteidiger waren davon begeistert, daß hier Unterlagen der Verteidigung beschlagnahmt wurden. Sie zogen erst – erfolglos – durch die Instanzen der Bayerngerichte und schließlich vor das Bundesverfassungsgericht, das ihrer Verfassungsbeschwerde stattgab (BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10).

Abenteuerlich waren die Begründungen des AG und des LG München, die die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion für rechtens hielten: Die vom Arzt abgetippten Patientenunterlagen seien kein geschütztes Material der Verteidigung. Es sei nicht davon auszugehen, dass sich das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Verteidiger gerade auf diese Unterlagen beziehe. Auch die handschriftlichen Originalaufzeichnungen (mit einer
detallierten Beschreibung des Behandlungsablaufs aus seiner Sicht), die der Arzt für seinen Verteidiger erläuternd auf das Papier geschrieben hatte, unterlägen nicht dem Vertrauensschutz.

Und überhaupt, meinte das im Beschwerdeverfahren angehörte Bayerische Staatsministerium, gäbe es auch sonst nichts an der Aktion zu beanstanden.

Denn entscheidend sei, ob ein Beschuldigter Aufzeichnungen erkennbar zum Zweck der Verteidigung angefertigt habe. Dies sei hier nicht der Fall. Die Leseabschriften der Patientenkarteikarten seien „nicht ersichtlich“ für den Verteidiger bestimmt gewesen. Für einen Außenstehenden sei nicht erkennbar gewesen, dass es sich um „spezielle Verteidigungsunterlagen“ gehandelt habe.

Ich rufe nochmal in Erinnerung: Beschlagnahmt wurden diese Unterlagen quasi auf dem Schreibtisch des Verteidigers. Trotzdem behaupten diese bayerischen Volljuristen, sie seien „nicht ersichtlich für den Verteidiger bestimmt“?

Diesem Unsinn traten die Verfassungsrichter deutlich entgegen:

Die Durchsuchungsmaßnahme sei

offensichtlich ungeeignet und daher unverhältnismäßig.

Denn die Karteikarten unterlägen dem Schutz der § 97 StPO und § 160a I 2 StPO; Erkenntnisse daraus dürften im Rahmen der Beweisaufnahme ohnehin nicht verwendet werden.

Weiter heißt es in dem Beschluß:

Bei diesem Vorgehen besteht die Gefahr, dass der Schutz des Vertrauensverhältnisses infolge der Sichtung sämtlicher Verteidigungsunterlagen ins Leere läuft. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – trotz der besonderen Sensibilität einer Durchsuchung beim Strafverteidiger keine umfassende Angemessenheitsprüfung unter Berücksichtigung der Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses zwischen Strafverteidiger und Mandant erfolgt.

Da es den Bayern bis 2014 noch nicht bekannt war, wiederholte das BVerfG das, was ich seinerzeit als Student an der Philipps-Universität Marburg aus der Entscheidung des BGH vom 09.04.1986 (3 StR 551/85) längst gelernt hatte:

Aus dem rechtsstaatlichen Gebot, dem Beschuldigten jederzeit die Möglichkeit einer geordneten und effektiven Verteidigung zu geben, ergibt sich, dass Unterlagen, die ein Beschuldigter erkennbar zu seiner Verteidigung in dem gegen ihn laufenden Strafverfahren anfertigt, weder beschlagnahmt, noch gegen seinen Widerspruch verwertet werden dürfen.

So erfreulich, wie diese Entscheidung ist: Sie erging im November 2014. Der rechtswidrige Übergriff des Amtsrichters erfolgte im Juli 2010. Was aus dem Arzt (und dem Verteidiger) bzw. aus dem Strafverfahren wurde, ist der Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht zu entnehmen. Auch ohne Akten- und Sachverhaltskenntnis wird für einem Unbeteiligten aber der nachhaltige Schaden deutlich, den die bayerischen Instanz-Richter in Bezug auf das Vertrauen des Bürgers in ein rechtsstaatliches Verfahren angerichtet hat. Freistaat statt Rechtsstaat?

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Bild: © Jürgen Grüneisl / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Gericht, Rechtsanwälte, Verteidigung veröffentlicht.

15 Antworten auf Verfassungswidrige Durchsuchung einer Strafverteidigerkanzlei

  1. 1
    Christian says:

    Na, Rechtsfreistaat halt.

  2. 2
    Tim says:

    Solange Verfassungsverstöße weniger streng geahndet werden als Falschparken, wird es die Täter nicht jucken …

  3. 3
    Christian says:

    Für die Nicht-juris-ten unter uns: Den Volltext der Entscheidung im Anwaltsblatt (PDF).

    Warum hat das BVerfG den nicht online?

    • Die Bayern interessiert das nicht und dem Rest der Republik ist der Inhalt der Entscheidung genauso geläufig wie die Definition eines geläufigen Diebstahls. crh
  4. 4
    T.H., RiAG says:

    Personen, die in roter Robe arbeiten, haben mit jenen, die in Lack und Leder arbeiten, – vermutlich – eher wenig zu tun, aber eine Gemeinsamkeit gibt es: wer von ihnen Schläge will, bekommt sie auch. ;-) Manche, vor allem in Bayern, scheinen da aber drauf zu stehen.

  5. 5
    Miraculix says:

    Jetzt gibt es also ein hübsches Blatt Papier an das sich theoretisch alle halten müssen. Wenn sich aber jemand nicht dran hält passiert auch nix. Warum sollte sich also jemand daran halten?

    Welcher Rechtsstaat? Das ist einer Bananenrepublik näher.

    Und dafür muss man nicht nach Bayern fahren. Wenn man den juristischen Geschäftsbetrieb aufmerksam beobachtet findet Vergleichbares an jedem Gericht :(

  6. 6
    Leser says:

    Ein Skandal. Richterprivileg hin- oder her: Ein Richter, der solche Entscheidungen fällt, gehört bestraft. Wenn das keine Rechtsbeugung ist, was dann?

  7. 7
    Mitleser says:

    Ihr IT-Dienstleister hat sie als Profi hoffentlich schon vor längerer Zeit genötigt, sämtliche (Mandanten-) Datenträger zu verschlüsseln? Macht ein wenig Aufwand, kostet ein wenig Performance (oder Geld -> bessere Hardware), hebelt aber so etwas (oder Datenabwanderung aus Einbruch/Diebstahl) aus.

  8. 8
    Der wahre T1000 says:

    @Mitleser: Unterlagen bestehen – auch heute noch – überwiegend aus Papier. Es nutzt nichts Daten zu verschlüsseln, wenn wesentliche Inhalte ungeschützt bleiben.

    Es soll aber den einen oder anderen Strafverteidiger (oder auch Geschäftsmann) geben, der die Unterlagen scannt und dann vernichtet oder an einen sicheren Ort Verbringt. Da hilft es dann sehr auf Verschlüsselung zu setzen.

    Ich persönlich nutze Hardware-verschlüsselnde Platten (Bios-Passwort), welche mit dm-crypt – ich nutze meistens Linux – nochmals verschlüsselt sind. Ich habe da weder Swap-Space noch eine Hibernate-Datei.

    Bei Windows verwende ich Truecrypt. Die Hiberfil.sys ist deaktiviert und die SWAP-Datei liegt in einer Ramdisk (Rechner mit mind. 16Gb empfehlenswert).

    Und das alles, obwohl ich keine Straftaten begehe. Einfach nur für den Fall, dass mich z.B. einer willkürlich anzeckt (bei angeblichen Kinderpornos ist das sehr effizient, auch die Steuerfahndung hat immer ein offenes Ohr).

    Natürlich hilft das nicht gegen Geheimdienste, welche einem per Windows-Update etwas unterschieben oder Keylogger heimlich installieren. Wohl aber hilft das gegen Polizei/Staatsanwalt. Die kann den Rechner vor Ort nämlich nicht entsperren (Firewire habe ich nicht und USB ist geblockt). Wenn der Strom erst aus ist oder das Gehäuse geöffnet wird, dann geht gar nichts mehr.

  9. 9
    Mitleser says:

    @T1000: dito ;)
    Nur kann man bei FDE (die man wegen PBA zwingend benutzt*) problemlos hibernate (und swap) verwenden, die Bereiche sind ja mitverschlüsselt. Funktionierte schon mit XP (und TC) sehr gut, in Win7 sowieso (8+10 nutze ich nicht, wird aber ähnlich sein).

    * dann hilft nämlich auch der Software-Keylogger nichts mehr, dann muss die Hardware ‚infiziert‘ werden. Siehe auch anonym im Netz.

  10. 10
    Daarin says:

    Ich rate jetzt mal ins Blaue: Der Amtsrichter der das angeordnet, sowie die Instanzrichter die das abgesegnet haben sind alle noch in Amt und Würden, der Arzt ist mindestens seinen Job los, wenn nicht hinter Gittern und der Rechtsanwalt kriegt keine Mandanten mehr, weil bei dem schon durchsucht wurde?

  11. 11
    RA Splendor says:

    Kein Einzelfall. Als ich noch vereinzelt Strafsachen machte, durfte ich auch miterleben, wie die Staatsanwältin der StA Siegen mehrere Busse grüner Männer vorfahren ließ und alle vier Stockwerke unserer Kanzlei auf den Kopf stellte um meine Verteidigungsunterlagen zu bekommen. Wurde natürlich sowohl vom Amtsgericht wie auch vom Landgericht abgenickt.
    Was uns fehlt in Deutschland, ist der Straftatbestand der vorsätzlich oder grob fahrlässig falschen Ausübung von Hoheitsgewalt. Mancher Beamte oder Richter würde vor seinen Anmaßungen einen Zwischenschritt des Nachdenkens einlegen.

  12. 12

    […] Sind die Ter­ro­ris­ten nun Feinde oder Bür­ger? Auf­for­de­rung zum Faust­recht Ver­fas­sungs­wid­rige Durch­su­chung ei­ner Straf­ver­tei­di­ger­kanz­lei „Ar­beits­weise und Ver­hal­ten der Po­li­zis­ten macht die Schwur­ge­richts­kam­mer […]

  13. 13

    […] stellt Ihnen dafür der geschätzte Kollege Carsten R. Hoenig HIER en detail dar und vor. Und nur weil er das netterweise mitteilt, was ich beim Bundesverfassungsgericht nicht zu lesen […]

  14. 14
    RAinKaDi says:

    Hier sollte man durchaus Verständnis für die bayerischen Durchsuchungsbeamten haben: sie konnten natürlich NICHT erkennen, dass die Unterlagen der Verteidigung dienten. Wie auch?
    Es wird sich vermutlich auch ein benutztes Taschentusch auf den Schreibtisch befunden haben. Diente sicher nicht der Verteidigung!
    Also zukünftig alle Unterlagen stempeln: „Dient der Verteidigung“ oder sowas in der Art. Dann sind alle Klarheiten beseitigt.

  15. 15

    […] überschreiben, über den neulich ja auch schon der der Kollege Hoenig berichtet hatte (vgl. hier: Verfassungswidrige Durchsuchung einer Strafverteidigerkanzlei). Ich greife den Beschluss dann hier noch einmal auf, weil er doch einige recht bemerkenswerte […]