Ernstgemeinter Humor beim Landgericht

In einer recht angestaubten Strafsache, die nach ewig langen Ermittlungen und Anklageerhebung endlich beim Landgericht Frankfurt am Main angekommen war, hatte ich Akteneinsicht beantragt. Und zwar Einsicht in *alle* Akten, die dem Gericht von der Staatsanwaltschaft mit der Anklageschrift übermittelt wurden.

Denn mit der Übersendung der Anklageschrift wird der Vereidigung Gelegenheit gegeben, zu dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Eröffung der Spiele des Hauptverfahrens Stellung zu nehmen und gegebenenfalls Anträge zu stellen. Damit ich prüfen kann, ob eine Verteidigung im diesem so genannten Zwischenverfahren sinnvoll ist, muß ich erst einmal in die Akten schauen. Deswegen mein Akteneinsichtsgesuch.

Darauf reagierte der Vorsitzende Richter in einer – sagen wir mal – etwas ungewöhnlichen Art:

… wird in Beantwortung Ihres Schriftsatzes vom 12.05.2015 mitgeteilt, dass eine Übersendung der Akten nicht möglich ist. So sind die Akten hier zur Vorbereitung der Eröffnungsentscheidung und zur Durchführung der Zustellung an Ihren Mandanten nicht entbehrlich. Es wird Ihnen jedoch hiermit ausdrücklich gestattet, auf der Geschäftsstelle in alle Haupt- und Beiakten Einsicht nehmen zu können.

Abgesehen von der Entfernung zwischen meinem Schreibtisch und der Geschäftsstelle des Landgerichts Frankfurt am Main gibt es da ein weiteres Problem. Das ist nämlich der Umfang der Ermittlungsakten (500 Bände – fünfhundert. Bände – nicht Blätter).

Ich habe daher den Richter gefragt:

LGFFM - ernsterZeitpunkt

Eigentlich eine eher rhetorische gemeinte Frage, aber der Vorsitzende – das sei lobend hervorgehoben – nimmt jedes Wort eines Verteidigers ernst. Und antwortet entsprechend:

LGFFM-Ernstgemeint

Der Mann hat Humor. Ich freue mich auf die gute Unterhaltung in den nächsten Monaten …

Dieser Beitrag wurde unter Richter, Verteidigung veröffentlicht.

13 Antworten auf Ernstgemeinter Humor beim Landgericht

  1. 1
    RA Garweg says:

    Für *mündliche* Mitteilungen hält sich der Richter also noch ein Hintertürchen offen…

  2. 2
    Hauke says:

    Das Gericht teilt mit, es nehme seine eigenen Mitteilungen immer ernst, das beantwortet aber doch nicht die Frage, ab wann Herr Hoenig die Mitteilungen des Gerichts wieder ernst nehmen soll und ab wann das Gericht seine Mitteilungen wieder ernst meint. Da das Gericht nicht beantwortet hat, ab wann es seine Mitteilungen wieder ernst meint, ist davon auszugehen, dass die Mitteilung des Gerichts, es nehme seine eigenen Mitteilungen ernst, ebenfalls nicht ernst gemeint ist. Meines Erachtens müsste da unbedingt noch mal nachgehakt werden.

  3. 3
    Ronny says:

    Mal als Laie ganz platt gefragt: Wie läuft das denn sonst bei Akten in diesem Umfang? Schickt das Gericht üblicherweise LKWs los?

    • Ich sehe da kein Problem: Umzugskartons gibt’s bei Bauhaus. Den Rest erledigt ein Kurierdienst. crh

    Oder stehen solche Akten normalerweise auch schon digital zur Verfügung?

    • Digitale Strafakten werde ich in meinem aktiven Berufsleben eher nicht mehr erleben. Und das, was die Justizbehörden aus dem Ärmel heraus (meint: ohne gesetzliche Grundlage) bisher anbieten, hat durchaus noch reichlich Optimierungsbedarf (ich nenne mal beispielhaft OCR; Tabellenkalkulationen, Datenbanken werden ausgedruckt zur Akte genommen und dann eingescannt …) crh
  4. 4
    Ronny says:

    Und noch eine Frage nachgeschoben: Wie lässt sich ein solches Aktenaufkommen innerhalb eines vertretbaren Zeitraums überhaupt sichten und auswerten?

    • Das setzt zunächst eine entsprechende Infrastruktur (personell und sachlich) in der Kanzlei voraus. Erfahrung im Umgang mit solchen Dickschiffen ist dann auch sehr hilfreich. Es gibt da ganz gut funktionierende elektronische Helferlein. crh
  5. 5
    RA Tatouille says:

    „…. beantrage ich gemäß bzw. analog § 46 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 RVG festzustellen:

    1. Es sind 50 (fünfzig) Reisen des Verteidigers und 2 Hilfskräften von Berlin nach Frankfurt/Main per ICE, 1. Klasse, notwendig, um Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle zu gewähren. Fahrtkosten, Abwesenheitsgelder und Hotelkosten trägt die Staatskasse.

    2. Es wird festgestellt, daß der Transport eines Fotokopierers vom Kanzleisitz des Verteidigers zur Geschäftsstelle der Strafkammer notwendig ist, um die 500 Aktenbände auf der Geschäftstelle abzulichten. Die Kosten hierfür trägt die Staatskasse.“

    Das hilft meistens… :-)

  6. 6
    RA Just says:

    @RA Tatouille: Sie haben meinen Tag gerettet :D

  7. 7
    WPR_bei_WBS says:

    @RA Tatouille: Sehr gut, dass hat mir den Tag gerettet.

    Aber jetzt mal meine Laiensicht / -fragen:

    – Inwieweit ist es streitig, ob/dass der Verteidiger a) in diesem Stadium des Verfahrens b) die Akten (als Kopie) zur Verfügung gestellt bekommt (und nicht nur auf der Geschäftsstelle ansehen darf).

    – Ich gehe mal davon aus, dass der Versand der Akten im Prinzip ein rechtlicher ANspruch der Verteidigung ist – hat ihr (CRH) Schreiben das noch mal für den Richter aufgeführt (so als Gedächtnisstütze), oder kam gleich die rhetorische Frage ;-)

    – Ich bin ja sicherlich kein Befürworter von Kuschelverteidigung, und das Ansinnen des Richters ist (unabhängig von der Rechtslage) sicherlich einfach nur bekloppt. Aber: Halten Sie es wirklich für hilfreich, gleich zu Anfang des Verfahrens so in die vollen zu gehen (nicht, dass ich ds nicht verstehen könnte) und mitunter das Klima zu vergiften?

    • Bitte gehen Sie mal davon aus, daß es einem Juristen möglich ist, sich in knapp zwei Jahrzehnten als Strafverteidiger soviel Kompetenz anzueignen, daß er genau weiß, was er tut, wenn er auf fremder Leuts Sattel durchs Feuer reitet.
       
      Über die von Ihnen angesprochenen Fragen (Anspruch auf Versendung der Akten) werden Sie (und die anderen Blogleser) beizeiten informiert. Das wird nämlich noch spannend. crh
  8. 8
    Jochen says:

    Als juristischer Laie frage ich mich nun, wie hier § 147 StPO auszulegen ist, insbesondere wenn wir Absatz 7 berücksichtigen. Bedeutet das, dass dem Beschuldigten zwar auf seinen Antrag Auskünfte und Abschriften aus den Akten zu erteilen sind, soweit dies zu einer angemessenen Verteidigung erforderlich ist, aber nur dann, wenn er keinen Verteidiger hat? Würde das also im Umkehrschluss bedeuten, dass dem Beschuldigten die relevanten Abschriften (hier dann wohl Kopien, denn Zugang zu den Originalakten hat er ja nicht) erteilt würden, wenn der Verteidiger das Mandat niederlegt? Und wäre es möglich, das Mandat anschließend – also nach Übersendung der Akten – wieder aufzunehmen?
    Das Recht auf unmittelbare Akteneinsicht steht einem Beschuldigten ja nicht zu , aber Kopien täten es ja auch schon. Es müssen ja nicht gleich 500 Bände sein.

    Allerdings ist es aus wirtschaftlichen Aspekten heraus vielleicht ganz nützlich, eine Dienstreise nach Berlin zu machen, wenn die Staatskasse das begleicht.

    Mein Fazit: Die Juristerei ist schon recht kompliziert.

  9. 9
    Zwerg says:

    Ach na ja. Was soll schon passieren?

    Auf die Art der Ausgestaltung des Rechts auf Akteneinsicht kann schon im Hinblick auf § 336 S. 2 StPO i.V. mit § 147 Absatz IV 2 StPO eine Verfahrensrüge nicht gestützt werden. Außerdem besteht kein Anspruch auf Akteneinsicht in der Kanzlei – BGH, Beschluss vom 12. 9. 2007 – 1 StR 337/07

    Aus der Sollvorschrift des § 147 IV StPO zur „Mitgabe“ der Akten in die Geschäftsräume oder die Wohnung des Verteidigers ergibt sich keine Verpflichtung des Gerichts, die Akten an den Verteidiger zu übersenden. – KG: Beschluss vom 19.12.2001 – 3 Ws 649/01

    Klar, am Anfang gleich einen Befangenheitsantrag gegen den bösen Richter, hilft aber auch nichts.

    Gut und dann noch die „Faires-Verfahren-Karte“. Als wenn der Anspruch auf ein faires Verfahren bedeuten könnte, dass das Gericht zu jeder Zeit, wenn es dem Verteidiger passt, die Akten aus der Hand geben müsste.

    Klug ist es aber vielleicht trotzdem. Im Gegensatz zum Verteidiger (die Antwort an das Gericht ist ja eine gezielte Unverschämtheit, um zu provozieren), kann sich ein Richter durch unsachliche Reaktionen durchaus in die Gefahr der Ablehnung wegen Befangenheit bringen.

    Interessant wäre auch, ob der Verteidiger erst jetzt beauftragt wurde oder warum er erst jetzt erstmals Akteneinsicht in alle Akten nehmen will.

  10. 10
    Aggiepack says:

    Es ist mal wieder eine typische Glanzleistung der hessischen Justiz:
    Zu welchen Zweck sollen denn die gesamten Akten im gegenwärtigen Verfahrensstand für eine Zustellung erforderlich sein? Wollen die den Bestand 500 Bände zeitnah zustellen? – Nur zu, das spart dann schon den Kopieraufwand..

    Und wenn mir ein Richter schreibt, er bräuchte die Akten selbst zur Vorbereitung der Eröffnungsentscheidung bevor die Verteidigung offenbar vollständige Akteneinsicht gehabt und sich im Zwischenverfahren geäußert hat – da kann man dann schon einmal ernsthaft einen Gedanken an einen verfahrensleitenden Antrag verschwenden

  11. 11
    bambino says:

    Gibt es standardmäßig nur eine Akte? Dachte irgendwie, dass ein Duplikat hergestellt werden muss für den Fall, dass der Akte etwas passiert. Aber bei dem Umfang ist das wohl zu viel Aufwand? Wenn für die Kanzlerin das Internet „Neuland“ ist, ist es auch kein Wunder, dass sich in EDV-Hinsicht nichts tut in der Justiz.

  12. 12
    Subsumtionsautomat says:

    Vielleicht wollte Ihnen der Kollege nur Arbeit ersparen und die Kammer lehnt die Eröffnung sowieso ab… ;-) Wäre doch mal ein positiver Zug…

    • Das ist noch ein wenig früh. Vor den Nichteröffnungsbeschluß hat der liebe Gott die Zustellung der Anklage gesetzt. Damit gibt es derzeit noch ein paar Problemchen. crh
  13. 13

    […] habe am Freitag über ein Akteneinsichtsgesuch in einer Cybercrime-Sache berichtet. Die Einsichtnahme in die 500 Bände der Ermittlungsakte hat mir der gut gelaunte Vorsitzende […]