Alles Lüge? (Teil 2)

726208_web_R_by_Dr. Stephan Barth_pixelio.de Es geht um Lügen im Strafprozeß. Nur Angeklagte düfen grundsätzlich straflos schwindeln. Allen anderen Beteiligten, insbesondere Zeugen und Richtern, ist das verboten. In einem ersten (Theorie-) Teil habe ich über Rechtsmittel geschrieben – Berufung und Revision versus Sperrberufung und Sprungrevision. Die Lektüre des Teil 1 ist notwendig, um nun den konkreten, praktischen Teil nachvollziehen zu können.

Gegen das Urteil des Amtsgerichts habe ich „Rechtsmittel“ eingelegt. Der Richter war neugierig und wollte wissen, was für ein Rechtsmittel es denn werden sollte:

AMG-01

Das Urteil lag mir vor und war – wie erwartet – meiner Ansicht nach grottenschlecht begründet; die Tür zur erfolgreichen Revision stand sperrangelweit offen. Für die Begründung der Revision fehlte mir allerdings noch die Akteneinsicht, insbesondere die Einsicht in das Sitzungsprotokoll. Deswegen habe ich die Frage des Richters noch nicht beantwortet.

Zuvor – nach Ablauflauf der 7-tägigen Rechtsmittelfrist – hatte mir der Richter bereits mitgeteilt:

AMG-02

Ich hatte also danach noch die freie Wahl – Berufung oder Revision. Dann kam die Gerichtsakte. Auf Blatt 136/136a fand ich das Fax des Richters wieder. Auf den zwei Seiten davor finde ich dieses Schreiben der Staatsanwaltschaft:

AMG 03

Ich halte fest:

Am 30.04.2015 informiert mich der Richter darüber, daß „bisher hier bisher kein Rechtsmittel eingegangen ist“. Exakt einen Monatzehn Tage zuvor, am 20.04.2015, und eine Seite in der Akte vorher hat die Staatsanwaltschaft „das Rechtsmittel der Berufung“ eingelegt.

Kann ja mal passieren, daß ein Richter etwas übersieht. Trotzdem, ich habe mal vorsichtig angefragt:

AMG 04

Ich bin gespannt auf das Material aus Moabit für den dritten Teil dieser Geschichte.

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Bild: © Dr. Stephan Barth / pixelio.de

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13 Antworten auf Alles Lüge? (Teil 2)

  1. 1
    Johannes says:

    >>Am 30.04.2015 informiert mich der Richter darüber, daß „bisher hier bisher kein Rechtsmittel eingegangen ist“. Exakt einen Monat zuvor, am 20.04.2015, und eine Seite in der Akte vorher hat die Staatsanwaltschaft „das Rechtsmittel der Berufung“ eingelegt.<<

    Also 20.4. bis 30.4. sind für mich irgendwie kein Monat ;)

  2. 2
    Gustl says:

    Teil 1 der Geschichte handelt von der auf den letzten Drücker eingelegten Sperrberufung, die das zuvor eingelegte unbestimmte Rechtsmittel des Verteidigers als Revision kaputt machen soll. In Teil 2 geht es um eine offenbar am Tag des Urteils als erstes eingelegte Berufung der StA. Zusammenhang?

  3. 3
    WPR_bei_WBS says:

    Wo hat der Richter denn schon mal gelogen, ich hoffe der Hintergrund kommt in Teil drei :-).

    Ansonsten verstehe auch ich nicht das Problem, insbesondere in Bezug auf Teil 1. Oder erwarten Sie, dass die Berufung der StA heimlich aus der Akte entfernt werden soll, wenn Sie Ihrerseits mit „Berufung“ antworten?

    Nachdem was ich bis jetzt gelesen habe würde ich eher vermuten, der Richter ist einfach nur leicht verpeilt.

  4. 4
    -thh says:

    „Am 30.04.2015 informiert mich der Richter darüber, daß „bisher hier bisher kein Rechtsmittel eingegangen ist“. Exakt einen Monat zuvor, am 20.04.2015, […]“

    Eine ungewöhnliche Art der Datumsberechnung.

    Im übrigen legt der Wortlaut des auf den 30.04.2015 datierten gerichtlichen Schreibens („für den Fall, dass … Rechtsmittel eingelegt werden sollte“) nahe, dass bisher kein Rechtsmittel – gar keines – eingegangen sei. Nachdem aber offenbar für den Angeklagten Rechtsmittel eingelegt wurde, kann diese Angabe nicht stimmen. Entweder irrte also der Richter, oder das auf den 30.04.2015 datierte Schreiben wurde früher verfasst (oder verfügt und dann erst verspätet verfasst). Nachdem die Rechtsmittelfrist (bei einem Urteil vom 20.04.) am 30.04. auch abgelaufen war, macht das Schreiben zu diesem Datum ohnehin keinen Sinn.

    Auch erschließt sich die Bezugnahme im Schreiben des Gerichts vom 25.06. auf einen Schriftsatz vom 29.04. nicht so recht. Wenn dieser Schriftsatz die Rechtsmitteleinlegung gewesen wäre und alle Schreiben aus demselben Verfahren stammen, wäre das Rechtsmittel am 29.04. bei einem Urteil vom 20.04. wohl verfristet gewesen.

    Da scheint einiges durcheinander zu gehen …

    @Gustl (#2):

    Es soll offenbar insinuiert werden, dass entweder die Revisionseinlegung der Staatsanwaltschaft samt Eingangsstempel des Gerichts (und Datumszeile der Faxübertragung) im Sinne einer Rückdatierung gefälscht sei, oder die Nachfrage des Gerichts vom 30.04. eine Lüge (es sei bisher kein Rechtsmitfgel eingegangen) enthalte (was hingegen keinerlei Sinn machen würde).

  5. 5
    HD says:

    Es dürften möglicherweise zusammenkommen:
    1. Postlaufdauern in einer Behörde
    2. Nicht taggleiche Bearbeitung auf der Geschäftsstelle
    3. Nicht mitdenken
    4. Verstoß gegen den Grundsatz der Chronologie bei Heftung der Akte
    Viel spricht dafür, dass die Mitteilung, ein Rechtsmittel sei nicht eingegangen, auf einem Versehen beruht. Nichts bislang dafür – insbesondere auch kein nachvollziehbares Motiv – dass sie wissentlich falsch gemacht wurde.

  6. 6
    BV says:

    Gerade in Berlin habe ich es – wenngleich nur in Zivilsachen – mehrfach erlebt, dass zwischen Datum der Verfügung und Datum des Schreibens eine längere Zeitspanne liegt. Insofern würde ich es nicht ausschileßen wollen, dass die Mitteilung noch vor der Berufung der Staatsanwaltschaft verfügt wurde.

    Abgesehen davon frage ich mich, was der Richter, wenn er denn wirklich bewusst täuschend gehandelt haben sollte, damit bezwecken könnte. Selbst wenn crh aus dem unbestimmten Rechtsmittel eine Revision gemacht hätte, wäre diese als Berufung zu behandeln gewesen. Wollte der Richter unnütze Arbeit durch die Erstellung einer aufwendigen Revisionsbegründung erzeugen?

  7. 7
    TG says:

    Also, naja, das Schreiben der StA ging bei Gericht am 21.4. ein +2 Tage bis es da ist, wo es sein soll hätten wir den 23. Obwohl 25. und 26. WE waren, könnte man eigentlich erwarten, dass bei Veranlassung eines Schreibens mit Datum 30.4. die Berufung zdA gekommen war. Seltsame Sache. Mehr als einen Schlagabtausch „Ja dann will ich Revision“-„Bekommste aber nicht, dank der StA, haha“ kann doch nicht bei rauskommen? Ich tippe mal auf Urlaub iVm langsamen GeZi.

  8. 8
    HugoHabicht says:

    Das tolle am Kollegen Hoenig ist doch, dass der sich auch nach 20 Berufsjahren noch über so einen sinnlosen Kleinkram aufregen kann.

  9. 9
    Laien-Frager says:

    Weil Sie da schreiben“ Es geht um Lügen im Strafprozeß….“
    Der Strafprozess ist vorbei also kann doch der Richter jetzt Lügen? Bin ja nur Laien-Frager.
    Interessant ist das trotzdem denn wie kommt der Versehenheits-Lügner“ hier wieder raus…. mal abwarten

  10. 10
    Rechenkünstler says:

    Wenn der Richter unter dem 30.4. schreibt, dass gegen ein Urteil vom 20.4. noch kein Rechtsmittel eingelegt wurde, müsste auch der rechnerisch unbegabte RA darauf kommen, dass dieses Schreiben weit vor dem 30.4. verfasst worden sein muss. Am 30.4., also nach Ablauf der RM-Frist macht so ein Schreiben keinen Sinn mehr.

  11. 11
    WPR_bei_WBS says:

    Interessnt finde ich, dass auf dem AG Schreiben vom 30.04. nur ein Datum steht, auf dem Schreiben vom 25./26.06.dagegen sowohl „das“ Datum als auch ein ‚gefertigt am‘ Datum. Hat da etwa schon jemand intern das Problem erkannt und die Prozesse & Vorlagen entsprechend angepasst?

  12. 12
    alter Jakob says:

    Selbst wenn man annimmt, dass der Richter in seinem Schreiben vom 30. 4. entweder zu ungenau war (und er eigentlich meinte „kein Rechtsmittel der Verteidigung“) oder tatsächlich noch keine Kenntnis hatte (schon diktiert und dann erst Tage später abgeschickt), ist die Anfrage vom 25./26. Juni doch ein ziemlich deutliches Indiz, dass die Vorgeschichte eher zur Vorbereitung eines kleinen Sieges bei der Zurückweisung einer Sprungrevision diente. Oder der Richter ist tatsächlich so unfähig, dass er nach zwei Monaten immer noch nicht weiß, dass die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hat und er nicht mehr nach dem Rechtsmittel fragen müsste.

  13. 13
    Brutha says:

    Das klingt für mich nach einem Paradebeispiel für Hanlon’s Razor:
    Dem Richter waren – ob einer überlasteten Poststelle oder anderer Gründe – die beiden Rechtsmittel seitens Staatsanwaltschaft und Beschuldigten noch nicht bekannt; der Schriftsatz des Richter brachte auch so seine Zeit bis zur Fertigstellung in der Schriftstube zu.