Mutmaßlicher Antisemitismus beim LG Berlin?

Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger e. V. hat am 31.10.2013 die nachfolgend ungekürzt zitierte

Offene Stellungnahme und Presseerklärung
zur Befangenheit eines Vorsitzenden Richters
auch wegen des Verdachts antisemitischer Äußerungen

veröffentlicht (Fettdruck und Link zum Tagesspiegel durch den Blogautor):

Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger ist über die ausbleibende Reaktion der Berliner Justiz zur Ablösung eines Richters wegen möglicher antisemitischer Vorbehalte besorgt. Äußerungen aus Justizkreisen sind – so sie überhaupt erfolgen – bagatellisierend und verniedlichend. Aus Sicht der Strafverteidigervereinigung besteht hierzu keinerlei Anlass.

Bereits in der vergangenen Woche wurde über den Beschluss des Landgerichts Berlin in BILD und im Tagesspiegel berichtet, mit dem ein Vorsitzender Richter des Landgerichts Berlin unter anderem deshalb für befangen erklärt wurde, weil sein Verhalten besorgen lasse, dass er „sich in seiner Entscheidungsfindung von unsachlichen Vorbehalten gegenüber Juden leiten lässt“.

Dieser Entscheidung lag ausweislich des Beschlusses folgender Sachverhalt zugrunde:

Der befangene Richter hatte in einem Prozess u. a. über die Schuld eines deutschen Ehepaares jüdischen Glaubens zu befinden. Nachdem die Angeklagte wegen eines Karzinoms operiert worden war und wegen starker Schmerzmittel mindestens zeitweise nicht verhandlungsfähig war, ließ er sie – rechtswidrig – ins Bundeswehrkrankenhaus zwangseinweisen, um dergestalt die Diagnose der Verhandlungsunfähigkeit zu hinterfragen. Als ein von den Eheleuten hinzugezogener anerkannter forensischer Sachverständiger dem befangenen Vorsitzenden seine Einschätzung mitteilte, fragte dieser den Sachverständigen, ob auch er Mitglied der jüdischen Gemeinde sei. Bereits zuvor hatte der abgelöste Richter den Ehemann der erkrankten Angeklagten im Rahmen von dessen Haftprüfung bei der Erörterung einer möglichen Fluchtgefahr bereits gefragt, ob er Jude und Mitglied der jüdischen Gemeinde sei.

Ein Richter gilt dann als befangen, wenn berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit bestehen. Diese Zweifel ergeben sich zwanglos aus dem Beschluss. Verwundern muss daher die Äußerung des Gerichtssprechers des Landgerichts, es sei dem befangenen Richter bei seiner Frage an den Sachverständigen hinsichtlich einer Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde nur um private Beziehungen des Sachverständigen zum Ehepaar gegangen, im Übrigen hätten entsprechende Fragen in der Haftprüfung des Ehemanns, ob er Jude und Gemeindemitglied sei, lediglich mit dem Vorhandensein zweier Pässe zu tun gehabt.

Einzige Stütze dieser Justizäußerung sind die Erklärungsversuche des abgelehnten Richters, die der Gerichtssprecher offenbar zur Kenntnis bekommen hat, welche indes bereits im Ablehnungsverfahren das entscheidende Gericht nicht überzeugten. Dass sich der Gerichtssprecher ausschließlich hierauf bezieht, ist bereits verwunderlich.

Nicht mehr nachzuvollziehen ist dies aber, wenn aus weiteren Dokumenten des Ablehnungsverfahrens anwaltlich versichert hervorgeht, dass der befangene Richter dem angeklagten Ehemann für den Fall, dass seine Frau nicht zur Verhandlung erscheine, weiterhin in Aussicht gestellt haben soll, diese wie Demjanjuk zu behandeln – also wie den Mann, der in München wegen Massenmordes an Juden während des Holocausts vor Gericht stand und gegen den ungeachtet seiner möglichen Erkrankung verhandelt wurde. Die Richtigkeit dieses Vortrags wurde anwaltlich versichert. Dem befangenen Richter müsste es bekannt gewesen sein, dass der angeklagte Ehemann weite Teile seiner Familie im Holocaust verloren hat. Es ist unerträglich, wenn diesem Mann gegenüber angekündigt wird, seine Frau müsse damit rechnen nicht besser als ein mutmaßlicher Massenmörder und Nazischerge behandelt werde.

Vor diesem Hintergrund ist es dann ebenso schwer erträglich, wenn der Gerichtssprecher sich in Bewertung des Ablehnungsvorganges nur auf die Erklärungen des befangenen Richters bezieht – und den Vorgang offenbar als normal bewertet. Weitere Klärung soll offenbar nicht angezeigt sein. Dabei sind die nunmehr offenbar auch vom Gerichtssprecher übernommenen antisemitischen Klischees offensichtlich:

Wenn es um die Frage persönlicher Bekanntschaft zwischen Sachverständigem und Angeklagten geht, ist die Frage nach der Gemeindezugehörigkeit gänzlich ungeeignet, eine solche Bekanntschaft zu erhellen – es sei denn, man ginge mit einem klassischen antisemitischen Klischee davon aus, dass innerhalb einer aus 13.000 Menschen bestehenden Gemeinde ohnehin alle Juden „zusammenhalten“, gegebenenfalls auch ohne sich zu kennen. Gleichfalls sinnlos ist die Frage nach Glaubens- und Gemeindezugehörigkeit im Zusammenhang mit zwei Reisepässen. Religionsgemeinschaften bzw. Gemeinden stellen solche nicht aus.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass seitens der Justiz das Thema möglichst schnell mit verharmlosenden, wenn auch ungeeigneten Erklärungen beerdigt und der Verdacht des Antisemitismus – anders als im Beschluss festgestellt – ohne weitere Konsequenzen oder Aufarbeitung aufgelöst werden soll. Auch die Staatsanwaltschaft hat bislang zu dieser Frage geschwiegen, auch im Ablehnungsverfahren.

Auf Verständnis kann dies nicht treffen.

Noch nicht einmal 70 Jahre nach dem Holocaust und Judenverfolgung, in die gerade auch die Berliner Justiz verstrickt war, muss sowohl das Vorgehen des abgelehnten Richters als auch die Rezeption des Beschlusses durch den Gerichtssprecher Unverständnis und Befremden hervorrufen. Vorurteile, dass wer gemeinsam in der Jüdischen Gemeinde sei, im Zweifel gegen die Interessen der Mehrheitsgesellschaft zusammenstehe, stehen in der Tradition klassischer antisemitischer Klischees wie dem der bizarren Theorie der „zionistischen Weltverschwörung“. Dass nun auch der Gerichtssprecher Fragen nach der Gemeindezugehörigkeit als geeignet und offenbar hinreichend sieht, „Private Verbindungen“ zwischen Sachverständigen und Angeklagten zu belegen, ist bedrückend.

Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger erwartet eine tauglichere Aufarbeitung als dass Fragen hierzu als offenbar ungehörig und neben der Sache behandelt werden. Neben der Sache waren allein die Fragen des befangenen Richters und seine Ankündigung gegenüber einem Nachkommen von Holocaustüberlebenden analog Demjanjuk mit seiner Frau zu verfahren.

Dass ein Richter überhaupt mit antisemitischen Klischees hantiert ist erschreckend. Dabei ist es vollkommen unerheblich, ob der Richter sich subjektiv als Antisemit sieht oder ob er sich lediglich in objektiv antisemitisch zu nennende Denkschemata verstieg. Eine Solidarisierung mit dem befangenen Vorsitzenden oder Verharmlosung seiner Äußerungen stünde der Berliner Justiz jedenfalls schlecht zu Gesicht.

Gezeichnet vom Vorstand der Vereinigung Berliner Strafverteidiger e. V.

Dieser Beitrag wurde unter Richter, Strafverteidiger veröffentlicht.

14 Antworten auf Mutmaßlicher Antisemitismus beim LG Berlin?

  1. 1
    Wilma says:

    1) Ob dem Vorstand der Vereinigung Berliner Strafverteidiger e. V. der Unterschied zwischen „die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit für begründet erklärt“ und „für befangen erklärt“ bewusst ist? Man hat nicht den Eindruck.

    2) Ist da wirklich mehr passiert als dass ein Richter sich bei dem Versuch, eine die Unbefangenheit eines Sachverständigen möglicherweise beeinträchtigende persönliche Nähebeziehung aufzuklären, womöglich ungeschickt ausgedrückt hat?

  2. 2
    Rechtsanwalt Grehsin says:

    Il y a des avocats à Berlin.

  3. 3
    Zwerg says:

    Ich will mich zu der Sache selber nicht äußern.

    Aber der Satz: „Die Richtigkeit dieses Vortrags wurde anwaltlich versichert.“ ist doch wohl eine Scherzerklärung. Die Versicherung eines Anwaltes bedeutet heute (leider) gar nichts. Anwälte sind genauso wahrheitsliebend oder auch nicht wie alle anderen.

    • Die anwaltliche Versicherung steht der eidesstattlichen Versicherung gleich. Beide dienen gleichermaßen der Glaubhaftmachung von tatsächlichen Behauptungen im Sinne des § 294 ZPO. crh
  4. 4
    T.H.,RiAG says:

    Die Erklärung ist mir ebenso wie die mittlerweile veröffentlichte weitere Presseerklärung nicht verständlich. Das Ablehnungsgesuch ist nach dem gesetzlich hierfür vorgesehenen Verfahren für begründet erklärt worden, und ob die vermeintlichen Äußerungen Anlass für disziplinar- oder gar strafrechtliche Maßnahmen sind werden die zuständigen Stellen zu prüfen haben. Eine Äußerung des LG oder gar der StA, wie gefordert, hätte, würde sie im Sinne der Verfasser der Presseerklärungen ausfallen, zwangsläufig die Wirkung eines öffentlichen Prangers. Und an jenen Pranger soll der abgelehnte Richter zu einem Zeitpunkt gestellt werden, in dem etwaige an persönliches Fehlverhalten anknüpfende Verfahren keinesfalls abgeschlossen sein können. Dass eine solche, mit der – auch für Richter geltenden – Unschuldsvermutung schlechterdings unvereinbare Forderung ausgerechnet von einer Strafverteidigervereinigung erhoben wird, ist ebenso befremdlich wie bedauerlich.

  5. 5
    Ingo says:

    Man kann sich auch ins Hemd machen.

    Ob der Richter wirklich antisemitisches Gedankengut hegt, ist fraglich. M.E. wollte er nur anhand eines bekannten Falles verdeutlichen, was mit ausbleibenden Zeugen geschehen kann. Der von ihm gewählte Vergleich (womöglich der einzige, der ihm auf die Schnelle eingefallen ist) ist ohne Frage verfehlt.

    Es kann sich aber auch um einen sehr ungeschickten Fehltritt gehandelt haben. Einen derartigen Skandal, wie ihn die Strafverteidigervereinigung darstellt, sehe ich anhand des wiedergegebenen Sachverhalts allerdings (noch) nicht.

  6. 6
    Heinz says:

    OT: Was hat die Untersuchung im BW-Krankenhaus eigentlich ergeben? – das wurde wieso auch immer in dem Text gar nicht geschrieben

    „Mutmasslicher Antisemitismus beim LG Berlin“

    -.-

    Der Richter wurde, in vorauseilendem Gehorsam trotz eines sehr dünnen Zweifels (kein „berechtigter Zweifel“) für befangen erklärt(vom LG Berlin) und trotzdem heißt es „Antisemitismus beim LG Berlin“.
    (das „Mutmaßlich“ ist lediglich eine formelle Floskel)

    z.B.
    „auch vom Gerichtssprecher übernommenen antisemitischen Klischees offensichtlich“
    *seuftz*

    „Holocaust und Judenverfolgung, in die gerade auch die Berliner Justiz verstrickt war, muss sowohl das Vorgehen des abgelehnten Richters als auch die Rezeption des Beschlusses durch den Gerichtssprecher Unverständnis und Befremden hervorrufen.“

    Antisemitismuskeule vom Feinsten

    Btw.: Godwinpull

    „objektiv antisemitisch zu nennende Denkschemata“
    Aha aus „Mutmaßlich“ wird „objektiv antisemitisch“ (ja ich hab die verschleiernden Formalfloskeln gesehen – und als solche erkannt)

    „Gezeichnet vom Vorstand der Vereinigung Berliner Strafverteidiger e. V.“
    und von Ihnen zustimmenderweise übernommen

    „Eine Solidarisierung […] oder Verharmlosung seiner Äußerungen stünde der Berliner Justiz jedenfalls schlecht zu Gesicht.“
    Wieso sollte man nur einen Richter mit der Antisemitismuskeule bedrohen, wenn es auch die ganze Berliner Justiz sein kann?

    Erst der Artikel über den Hamburger Polizisten, dem eine SS-Nähe angedichtet wurde und jetzt das hier. *seufts 2*

  7. 7
    Thomas Deufel says:

    schlimmer noch als der eigentlich unfassbare Vorgang ist die hier vorherrschende Kommentar-Kultur. Tenor: Wenn man einen Richter kritisiert, sind uns alle Mittel recht. Wird schon nicht so schlimm gewesen sein. Wir müssen konstatieren, dass nicht nur die Justiz wirklich der letzte Bereich ist, in dem die Belastung aus dem Dritten Reich bis heute nicht aufgearbeitet und schon gar nicht mit Konsequenzen versehen ist. Es scheinen auch Genrerationen von Juristen nachzuwachsen, die diese Haltungen weiter verfestigen. Nachfrage: unstatthaft.

  8. 8
    Heinz says:

    „die hier vorherrschende Kommentar-Kultur […]
    Wenn man einen Richter kritisiert, sind uns [zur Bekämpfung des Kritikers] alle Mittel recht.“

    Sie wollen den Kommentatoren ernsthaft vorwerfen, sie seien justizhörig?
    So sehr wie diese hier die Justiz (zu Recht) kritisieren?
    Ungerechtfertigte Beschimpfungen sowie Verleumdungen werden von den Kommentatoren entschieden abgelehnt.

    der letzte Satz aus meinem vorherigen Post ist so etwas allgemeinverständlicher:
    „Erst der Artikel über den Hamburger Polizisten, indem diesem eine SS-Nähe angedichtet wurde und jetzt das hier.“

  9. 9
    T.H., RiAG says:

    @Thomas Deufel

    Entweder haben Sie nicht richtig gelesen oder nicht richtig verstanden.

  10. 10
    schneidermeister says:

    Wenn sich Strafverteidigervereinigungen
    1. wie von Ri T.H. zu Recht beanstandet, mal an die Fakten halten würden (Besorgnis der Befangenheit begründet bedeutet nicht, dass er befangen ist; ob und wie der Richter tatsächlich bei dem geringen Beweismaß der Glaubhaftmachung „objektiv“ antisemitische Denkweisen hat/vertritt/billigt ist auch eher unklar)
    2. Sich genauso lautstark mal über die Nazi-Sumpfblüten in den eigenen Reihen äußern würden (und damit meine ich nicht, eine Anwältin wie Frau Sturm rauzszumobben, weil sie mal eine mutmaßliche Naziterroristin vertritt, sondern solche Zierden wie Mahler, Fräulein Stolz, die anwaltliche Nazimusikantentruppe aus Baden-Württemberg….) , um die eigene Vergangenheit und Gegenwart aufzuarbeiten
    wäre dem Rechtsstaat vermutlich mehr gedient als mit einem solchen Skandalgeschrei auf dünner Faktenbasis.

  11. 11
    le D says:

    Mahler und Stolz sind beide – schon seit 2009 wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht . keine Rechtsanwälte mehr…

  12. 12
    FreddieRiemenschneider says:

    Wenn es immerhin einen Beschluß gibt, der diese Dinge – mit Ausnahme von Denjanjuk – feststellt, hat das eine Aussagekraft, an der schwerlich zu deuteln ist. Wenn die Passage mit Demjanjuk glaubhaft gemacht ist, hat sie ebenfalls Aussagekraft. Man kann justizseitig schwerlich glaubwürdig bleiben, wenn man regelmäßige Aufarbeitungsveranstaltungen zum Justizversagen im Dritten Reich abhält und in der Gegenwart zu derartigem richterlichen Gebaren schweigt. Das hat auch nichts mit Unschuldsvermutung zu tun – strafrechtlich ist dem Richter ja nichts vorzuwerfen – der Beschluß ist bestandskräftig. Sofern man tatsächlich dienstrechtliche Konsequenzen in Aussicht nimmt, könnte dies ja verlautbart werden. Mit solchen Verlautbarungen betreffend Angeklagten – wo die Unschuldsvermutung tatsächlich gilt – ist die Justiz ja auch nicht zimperlich.

  13. 13
    KaDi says:

    Der Beitrag, insbesondere die Kommentare zeigen (leider) einmal mehr, dass unverholen antisemitische Äußerungen verharmlost werden. Da hat er sich halt in der Formulierung vertan, der RTichter. Wird wohl an der Arbeitsüberlastung liegen.

    Aber eins hat mich dann doch gewundert:
    Richter interessieren sich tatsächlich ab und an dafür, was ein Anwalt zu sagen hat. Und kommentieren das dann (was mich wiederum nicht verwundert)

  14. 14

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