Geständnishandel

356795_web_R_B_by_Dieter Schütz_pixelio.deNoch einmal ein paar Gedanken zum Thema Deal, das in den vergangenen Wochen „in der Szene“ streitig diskutiert wurde und nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urt. v. 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 – 2 BvR 2883/10 – 2 BvR 2155/11) sicherlich auch künftig auf der Tagesordnung der Praktiker stehen wird: „Tausche „milde Strafe“ gegen Geständnis.

Was sagt ein Richter dazu?

Wer einer Straftat beschuldigt wird, darf schweigen oder die Tat bestreiten. Er hat das Recht auf einen Verteidiger, der ausschließlich seine und nicht heimlich die Interessen der Justiz vertritt. Er hat das Recht Zeugen zu benennen und gegen ihn sprechende Beweise zu prüfen. Diese Rechte hat er unabhängig davon, ob Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gericht dies für „sinnvoll“ halten oder für Zeitverschwendung, unabhängig davon, ob er dem Richter sympathisch ist, ob er sich einig und unterwürfig zeigt oder als harter Hund geriert.

Erstaunlich viele Bürger denken, diese Rechte seien nur für die Guten da (also vor allem für sie selbst), nicht aber für die Bösen. Sie wissen schon beim Frühstück, ob Kachelmann schuldig und Ackermann unschuldigt ist, kennen die richtige Strafe für U-Bahn-Schläger und die passende Entschädigung für Mißbrauchsopfer. Wenn man so denkt, kann man am Deal nichts Schädliches finden, außer daß einem die Strafen ein wenig zu niedrig erscheinen. Hier zählt nicht die Form, sondern allein das „passende“ Ergebnis.

kommentierte RiBGH Thomas Fischer in „Die Zeit“ (Printausgabe), 27.3.2013, Politik 11

Thomas Fischer teilt die Ansicht von Rudolf von Jhering (1818 – 1892):

Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit.

Der Richter stellt zutreffend fest, daß die Formenstrenge des Strafprozesses die unverzichtbare Aufgabe hat, den Bürger vor dem maßlosen Zugriff des Staates zu schützen. Pointiert:

Wer den Prozeß zerstört, zerstört das Recht.

Aus diesen grundsätzlichen Erwägungen heraus ist der Deal abzulehnen, eben weil er geeignet ist, den Schutz des Beschuldigten durch das formelle Recht ins Leere laufen zu lassen oder gar abzuschaffen. Das Bundesverfassungsgericht sah sich dazu veranlasst, Richter und Staatsanwälte dazu aufzufordern, die Regeln des Strafprozesses einzuhalten. Dazu gehören auch die Regeln des Deals. Es ist ungeheuerlich, daß Richter und Staatsanwälte eine solche Aufforderung, die Verfassung, insbesondere die Grundrechte (Art. 20 III GG), zu respektieren, überhaupt nötig haben.

Trotzdem: Der Braunschweiger Strafverteidiger Werner Siebers hat Recht, wenn er sagt:

Ein schlechter Deal kann „besser“ sein, als ein noch schlechteres Urteil.

Das kann aber „nur“ für den konkreten Einzelfall gelten, in dem der Beschuldigte den Schutz der StPO nicht braucht, darauf verzichten kann. Dann, nur dann darf ein Verteidiger mit Richtern und Staatsanwälten dealen. Und dabei muß er immer im Auge behalten, welche Schäden dieser Geständnishandel (und der der anderen Strafverteidiger) im Gesamtsystem anrichten wird.

Bild vom Basar in Marrakesch: Dieter Schütz / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Justiz, Richter veröffentlicht.

5 Antworten auf Geständnishandel

  1. 1
    Mark says:

    Der Deal ist leider Realität – und das schon seit Jahrzehnten. Was tun? Irgendwelche Vorschläge?

  2. 2
    ui-ui-ui says:

    Sich einfach ans Gesetz zu halten wäre schon mal ein Anfang, wie das BVerfG auch sagt.

  3. 3
    T.H., RiAG says:

    Es ist mir natürlich klar, dass es für „die Szene“ wesentlich interessanter ist, wenn sich ein BGH-Richter zu der Thematik äußert als wenn dies ein kleiner Amtsrichter aus der schwäbischen Provinz tut, gleichwohl hoffe ich, dass RA Hoenig es mir nachsieht, wenn ich die Gelegenheit nutze, an dieser Stelle etwas eigenen Senf hinzuzugeben:

    Die Äußerungen des BVerfG sind – bei allem schuldigen Respekt – teilweise unangemessen. Es ist zwar sicher nicht zu bestreiten, dass in manch Verfahren in unzulässiger Weise „gedealt“ wurde. Dennoch schießt das Gericht über das Ziel hinaus, wenn es nicht nur die Vorgehensweise in denihm vorliegenden Fällen beanstandet, sondern in recht oberlehrerhafter Weise die bahnbrechende Erkenntnis verkündet, dass sich ein Instanzrichter an das geltende Recht zu halten hat. Dies dürfte dann doch den allermeisten Kollegen auch vorher bekannt gewesen sein, und Fehlverhalten Einzelner rechtfertigt keine Pauschalohrfeigen für den gesamten Berufsstand, und zwar erst recht nicht, wenn der Stand in so einer massiven Weise in seiner Berufsehre angegriffen wird. Ich darf für mich und nahezu alle Kollegen in Anspruch nehmen, nach bestem Wissen und Gewissen Recht zu sprechen (sollte dies, was ehrlicherweise kein Gericht der Welt für sich ausschließen kann, in Einzelfällen misslingen steht der Weg zum LG und/oder OLG zur Verfügung), da ärgern mich solch allgemein gehaltene Vorhaltungen. Es ist schließlich auch unangemessen, den ganzen Berufsstand anzugreifen, wenn sich z.B. ein einzelner RA an Mandantengeldern vergreift.

    Auch stört mich die Darstellung, wonach jedes Instanzgericht quasi allmächtig über die Verfahrensbeteiligten herrscht, die ihm schutzlos ausgeliefert sind. Versucht ein Gericht – was schon immer zurecht als unzulässig angesehen wurde -, einen „Deal“ zu erzwingen, indem es für den Fall des nicht zustande kommenden „Vergleichs“ eine unverhältnismäßige Strafe androht, müsste jeder Verteidiger, der in seinem Handkommentar bis zu § 24 StPO blättern kann, wissen, was er zu tun hat. Ich wage daher zu bezweifeln, ob die Annahme, jedes Gericht könne den Angeklagten problemlos zum „dealen“ zwingen, in dieser Allgemeinheit richtig ist, zumal der Wunsch nach dem eine Verständigung einleitenden Rechtsgespräch nicht selten nicht vom Gericht, sondern von der Verteidigung ausgeht, wobei des öfteren der Verständigungsbereitschaft „nachgeholfen“ werden soll (jeder Richter kennt die Ankündigung, man werde andernfalls um die Stellung zahlreicher Beweisanträge „leider“ nicht herumkommen).

    Die Schärfe, mit der uns das BVerfG abgewatscht hat, ist zudem auch geeignet, an der Basis eine Verunsicherung hervorzurufen, mit der niemandem gedient ist. Wie verhält es sich beispielsweise mit der an jedem AG alltäglichen Situation, dass in einem Cs-Verfahren der Verteidiger den Richter anruft und einmal „vorfühlt“, ob beispielsweise in einer Verkehrssache hinsichtlich des Fahrverbots „was drin“ sei. Muss ich diesem RA nunmehr kommentarlos den Hörer auflegen, da ich andernfalls in eine verbotene „informelle Absprache“ einsteige oder handelt es sich noch um eine Erörterung im Sinne der §§ 202a, 212 StPO? Darf ich, um beim Fahrverbotsbeispiel zu bleiben, noch in Aussicht stellen, dass hier im Falle eines Geständnisses und/oder einer Einspruchsbeschränkung Spielraum vorhanden wäre oder nicht? Ich möchte nicht derjenige sein, an dessen Beispiel irgendwann einmal geprüft wird, wie sich eine solche – nach meinem Eindruck an allen AG übliche – Vorgehensweise mit § 339 StGB verträgt. Auch zeigt doch das Bespiel, dass es nicht immer zu Nachteilen für den Angeklagten führt, wenn zwischen den Verfahrensbeteiligten Gespräche geführt werden. Besteht nach einer Erörterung wie oben dargestellt eine greifbare Möglichkeit, um ein Fahrverbot herumzukommen oder wenigstens dessen Dauer zu reduzieren kann mit der entsprechenden Verteidigung ein (mit Blick auf die oft erheblichen beruflichen Konsequenzen eines Fahrverbots u.U. enorm wichtiger) guter Erfolg erzielt werden. Sieht es dagegen nach der aktuellen Sachlage schlecht aus bleibt wenigstens die Möglichkeit, die Kosten für einen aussichtslosen Verhandlungstermin zu sparen.

    Um ein anderes Beispiel zu nennen: gerade beim Schöffengericht sind oftmals Verfahren anhängig, wo sich ein Strafmaß von einem Jahr und neun Monaten ebenso gut begründen ließe wie ein solches von zweieinhalb Jahren. In einer solchen Konstellation wird der Angeklagte oftmals ein ebenso erhebliches wie legitimies Interesse daran haben, nach Möglichkeit zeitnah zu erfahren, was ein Geständnis wert ist. Lässt sich bei ungünstiger Aktenlage mit einem Geständnis noch eine Strafe im bewährungsfähigen Bereich erzielen, schadet es, so jedenfalls mein persönlicher Eindruck, sicher nicht, das Gericht ein Stück weit zu binden und den weiteren Verfahrenslauf nach Möglichkeit beherrschbar zu machen. Umgekehrt dürfte doch die Begeisterung eines Mandanten überschaubar sein, wenn ihm vom Verteidiger ohne „Deal“ zum Geständnis geraten wird und er hinterher dann erfährt, dass er nicht für zweieinhalb, sondern dank des Geständnisses „nur“ für zweieinviertel Jahre ins Staatshotel Lochhausen einfährt.

    Ich würde mir daher wünschen, dass sich die zuweilen recht aufgeregte Diskussion wieder etwas beruhigt und sich alle Beteiligten daran erinnern, dass eine Verständigung nicht immer und zwangsläufig den Ruch des Unanständigen tragen muss, sondern durchaus auch zu für alle Beteiligten akzeptablen Ergebnissen führen kann.

    So, nun ist diese Beitrag doch um einiges länger ausgefallen als zunächst beabsichtigt. Ich will dann mal hoffen, dass er nicht im Spam-Ordner landet, und jenen, die ihn bis zum Ende gelesen haben und sich nun fragen warum, seien mit dem Zitat eines Verteidigers gegrüßt, der ein, wie er später eingeräumt hat, etwas zu lang geratenes Plädoyer mit den Worten schloss:

    „Vielen Dank, dass Sie mir so lange zuhören mussten.“ :-)

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    Martin Overath says:

    Unterschlagen wird bei der Urteilsverständigung immer die Situation der Schöffen, die ohne Aktenkenntnis und ohne Beweisaufnahme ein tat- und schuldangemessenes Strafmaß finden sollen. – Auch deshalb wäre ein Schuldinterlokut die bessere Lösung, der deutsche Gesetzgeber hat diesen Weg nie ernsthaft geprüft.