Einäugige Richter beim Bundesgerichtshof

Seit dem 4.8.2009 gibt es den gesetzlich geregelten Deal. Richter, Staatsanwalt und Verteidiger handeln das Ergebnis eines Strafprozesses aus. Handeln statt Verhandeln. Damit müssen wir nun leben.

Zentrale Norm dieser sogenannten „formellen Verständigung“ ist der § 257c StPO. Im zweiten Absatz dieser Vorschrift heißt es:

Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

Neben dieser gesetzlich normierten Abreden gibt es in der Praxis auch die sogenannten informellen Deals. Das ist die Stelle, an denen das Prozeßrecht vollständig aus den Angeln gehoben wird. Zum Beispiel dann, wenn Gegenstand der Verfahrensabrede genau so eine „verbotene“ Maßregel nach § 63 StGB ist.

Eine solche gesetzwidrige und unzulässige Vereinbarung zwischen den Verfahrensbeteiligten war Gegenstand eines Beschlusses des Bundesgerichtshofes (Beschluß vom 22.06.2011, 5 StR 226/11).

Zwischen Richter, Staatsanwalt und Verteidiger wurde eine Freiheitsstrafe anstelle der einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vereinbart. Es gab also ein kollussives gesetzwidriges und unzulässiges Zusammenwirken der drei Schwarzberockten.

Das mißfiel den Rotberockten vom 5. Senat, die – auf die Revision des Angeklagten – das Urteil aufhoben und „zu neuer Verhandlung und Entscheidung […] an die Schwarzen an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen“. Soweit, so konsequent und richtig.

Unverschämt finde ich allerdings den folgenden Passus in dieser Entscheidung:

Das neue Tatgericht wird zu erwägen haben, ob dem Angeklagten ein neuer Verteidiger zu bestellen ist, nachdem der bisherige sich auf die vom Gericht initiierte grob sachwidrige Verständigung eingelassen hat.

Das muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Das Gericht „initiiert“ einen glatten Rechtsbruch. Und der Verteidiger soll dafür den Rausschmiß kassieren. Ja, hallo?!

Mitgewirkt an dieser (ich sag’s jetzt nicht deutlich, sondern nur höflich) Fehlentscheidung des Gerichts hat doch auch ein Staatsanwalt. An dem Rechtsmittel dagegen fehlte jede Mitwirkung der Staatsanwaltschaft.

Gerade weil die fünf Herrschaften des 5. Senats hervorragende Strafjuristen sein dürften, sollten sie imstande sein, sich solcher einäugiger Empfehlungen zu enthalten. Gemaßregelt gehörten hier die Richter der Strafkammer und der Staatsanwalt.

Ob der Verteidiger, der die Interessen seines Mandanten im Auge gehabt haben dürfte, falsch gehandelt hat, ist zumindest zweifelhaft; denn er hat die – erfolgreiche – Aufklärungsrüge schließlich geschrieben und damit den Rechtsbruch überhaupt erst aufgedeckt.

Update:
Auch Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., berichtet kritisch über die Entscheidung des BGH, kommentiert sie allerdings etwas zurückhaltender.

Dieser Beitrag wurde unter Richter veröffentlicht.

12 Antworten auf Einäugige Richter beim Bundesgerichtshof

  1. 1
    Matthias says:

    Hätte der Verteidiger sich nicht an dem rechtsbeugendem Deal beteiligt und käme er oder die Verhandlung aus Augsburg, würde jetzt wohl eine andere Strafkammer nachtreten.

  2. 2
    ui-ui-ui says:

    Im Gegensatz zu den erkennenden Richtern und dem anklagenden Staatsanwalt wird aber der Verteidiger nicht ohne weiteres ausgetauscht, wenn ich das richtig sehe.

  3. 3
    Das Ich says:

    …na vielleicht hat genau diesen Teil des Urteils nen Praktikant geschrieben;-)

  4. 4
    Doofer Laie says:

    Ist dieses der Mechanismus, durch den der überführte Hochstapler zu Guttenberg keine Vorstrafe bekommen hat, weil er im Gegenzug zwanzigtausend Euro an das Gericht zahlte?

    Also kann ich mich in Zukunft auf genau dieses Verfahren berufen, wenn ich bei einer Anklage gegen mich dem Richter anbiete, dass ich eine Summe in die Gerichtskasse einzahle und im Gegenzug das Verfahren rechtzeitig eingestellt wird?

    Vor dem Gesetz sind wir ja alle gleich, habe ich in der Schule gelernt. Ich habe nämlich weder Adelsprädikat noch akademischen Titel noch einflussreiche Freunde in Politik, Wirtschaft und Behörden.

  5. 5
    Bernd says:

    Es ist keinerlei Interesse des Mandanten ersichtlich, das es für den Verteidiger sinnvoll erscheinen lassen konnte, sich zuerst auf den Deal einzulassen, um das Urteil gleich danach wegen Rechtswidrigkeit des Deals anzufechten.

    • Es ist nicht sehr fernliegend, daß der Mandant sich im Stress der Hauptverhandlung zu dem Deal entschließt und dann nach ein paar Tagen (max. 7) ruhigen Überlegens es sich anders überlegt.

      Das ist auch ein Grund (von mehreren) für die knackige Regelung, daß ein Rechtsmittelverzicht beim Deal stets unwirksam ist (§ 302 Abs. 1 Satz 2 StPO). crh

  6. 6
    Bernd says:

    @ crh (Kommentar zu meinem vorherigen Posting): Das absolute Dealverbot bei Schuldunfähigkeit dient dem Schutz des schuldunfähigen Angeklagten vor sich selbst. Inwiefern darf sich ein Verteidiger Ihrer Meinung nach auf den Wunsch eines schizophreniekranken Angeklagten einlassen, die Sache qua Deal schnell über die Bühne zu bringen?

  7. 7
    Matthias says:

    Ein Angeklagter, der naiv genug ist, daran zu glauben, dass sich die Strafvervolgungsbehörden an die Rechtssätze des fairen Verfahrens und an die ihnen gegenüber geltenden Verwaltungsvorschriften halten werden, könnte mit dem Gedanken spielen, sich zunächst auf die Geständniserspressung einzulassen, um eine Strafobergrenze zu zementieren und danach durch das Rechtsmittel (was für ein [eigenartiges] Wort, wenn man sich vorstellt, vom 1. Strafsenat des BGH abgewatscht zu werden) eine neue Verhandlung zu erzwingen.

    Und wer die Realität kennt, weiss, dass Stasi und Gericht in frommer Einigkeit zusammenarbeiten und eine Revision nebst „ungeschickter “ Formulierung der schriftlichen Urteilsgründe, soweit sie entlastendes für den Angeklagten enthalten werden, wenn der Angeklagte keinen Rechtsmittelverzicht abgibt.
    Und zum 339 bzw der höflichen Andeutung bleibt ja nur zu sagen, dass der 1. Strafsenat des OLG Naumburg die Latte so hoch gelegt hat, dass eine Rechtsbeugung durch ein Kollegialgericht nicht mehr verfolgt wird. Richter begehen keine Rechtsbeugung, das haben sie noch nie gemacht.

  8. 8
    Lexus says:

    Wobei es natürlich rein objektiv gesehen wirklich bedenklich ist…

    Der Angeklagte ist umgeben von (mindestens) drei Volljuristen. Dabei ist einer sogar von ihm Bezahlt und soll das Beste für ihn raushauen.

    Alle drei Juristen führen den Mandanten aber in einen rechtswidrigen Deal. Ist für die Staatsanwaltschaft nicht schön, aber die ist nicht auswechselbar. Für das Gericht ist das Blamabel, dass man sich auf so einen Deal eingelassen hat. Konsequenz -> Gericht wird ausgetauscht.

    So und der Verteidiger hat den eigenen Mandanten ebenfalls in diesen rechtswidrigen Deal gedrängt. Dass man sich da am BGH fragt warum, ist finde ich nicht weiter verwunderlich. Normalerweise sollte der Anwalt doch darauf hinweisen, dass es so nicht geht. Zu dessen Gunsten kann man noch annehmen, dass er wirklich das Beste für seinen Mandanten wollte, aber wie der BGH am Ende ausführt, ist dies natürlich schon etwas verwunderlich, wenn Revision eingelegt wird.

    Viel mehr drängt sich die böse Vermutung auf, dass man (im besten Falle) das Verfahren in die Länge ziehen wollte und es absichtlich hat platzen lassen, oder (im schlimmsten Falle) der Anwalt an zwei Verfahren und einer Revision verdienen wollte.

    Somit ist das schon verständlich. Im besten Fall fühlt der BGH einfach seine Zeit verschwendet, im schlimmsten Fall ham sie Angst, dass ein Kranker Mandant ausgenommen werden soll.

    Ob man das natürlich nun so ausdrücklich reinschreiben soll… Mag man drüber streiten, vor allem da es böse Unterstellungen sind.

  9. 9

    Ich frage mich, wieso der Verteidiger Revision erhoben hat. Alles ist besser als die Massregel des Par. 63 StGB mit offenem Ende.

  10. 10

    […] hat der kurze Text des Kollegen Hoenig aber auch sonst nicht überzeugt: Der von ihm beschriebene und in dem referierten knappen […]

  11. 11
    Matthias says:

    @Lexus
    „Zu dessen Gunsten kann man noch annehmen, dass er wirklich das Beste für seinen Mandanten wollte, aber wie der BGH am Ende ausführt, ist dies natürlich schon etwas verwunderlich, wenn Revision eingelegt wird.“
    Schon komisch, dass der BGH bei Revisionen, die die StA zu Ungunsten des Angeklagten einlegt, wenn das Gericht genau das Strafmaß verkündet hat,. das die StA in der mdl. Verhandlung gefordert hat, nicht verwundert.
    Um zum Titel zurückzukommen: Mit beiden Augen sieht man besser :-)

  12. 12
    Zwerg says:

    Der StA der an der Verhandlung mitgewirkt hat, wird sich von seinem Behördenleiter einen schönen Anpfiff abholen. Das passiert dem nie wieder. Und auch die Richter werden schon Gelegenheit haben die Sache mal mit ihrem Präsidenten zu besprechen. Etwas was ziemlich nach Rechtsbeugung riecht, dass sieht kein Behördenleiter gerne. Aber werde Maßregelt den Verteidiger? Daher scheint der Hinweis des Senats nicht so fernliegend zu sein.