Der Blutdruck des Zeugen

Der Zeuge aus Berlin war vor Gericht geladen. Um 9:30 Uhr sollte er in Hamburg sein. Aus eigener (leidvoller) Erfahrung weiß ich, daß man dazu um 7:00 Uhr am Berliner Bahnhof sein muß. Das heißt in meinem Fall: Der Wecker klingelt mit einer 5 vor dem Doppelpunkt.

Der Zeuge war pünktlich beim Gericht in Hamburg. Es fehlte allerdings überraschend einer der Angeklagten, so daß der Termin nicht stattfand. Irgendwann nachmittags war der Zeuge wieder in Berlin.

Eine Woche später: Der Zeuge war wieder um 9:30 Uhr beim Gericht, der selbe Angeklagte nicht. Es gab ein gesundheitliches Problem. Der Zeuge hatte nun auch eins, mit seinem Blutdruck. Nachmittags war er wieder in Berlin.

In der Woche danach war der Angeklagte wieder gesund, der Zeuge aber nicht beim Gericht. Trotz ordnungsgemäßer Ladung. Der Vorsitzende Richter hatte seinen Blutdruck im Griff. Der Zeuge wohl nicht, er hatte sich kurz vor dem Termin telefonisch auf der Geschäftsstelle krank gemeldet und war danach nicht mehr erreichbar.

Richter können manchmal richtig hartnäckig sein. Also: Ein vierter Versuch sieben Tage später. Zeuge geladen. Zeuge nicht erschienen. Keine Entschuldigung.

Der Kundige weiß, was nun kommt: Die Vorführung. Auf den Fall bezogen heißt das: Der Zeuge wurde am Vorabend des fünften Anlaufs von der Berliner Polizei gepflückt und in eine Vorführzelle in Hamburg verbracht. Dort wurde er am nächsten Morgen zeitig geweckt und dann von einem Hamburger Polizisten zum Gericht eskortiert.

Pünktlich um 10:30 Uhr war er dort. Seine Vernehmung begann allerdings erst um 12:00 Uhr. Solange warteten der Polizist und der Zeuge draußen auf dem Flur.

Der Zeuge wurde in den Saal gebracht. Er sah nicht so aus, als wenn er gut geschlafen, frisch geduscht und lecker gefrühstückt hätte. Das Gegenteil schien der Fall gewesen zu sein – dem Gesichtsfarbe und seiner Frisur nach zu urteilen.

Bei der Angabe seiner Personalien hörte man seinen Blutdruck auch auf den hinteren Plätzen im Saal. Dann erfolgte die erste Belehrung durch das Gericht. Von wegen Wahrheit und so.

Da der Zeuge in einer gewissen kritischen Nähe zu den Angeklagten gestanden hatte, wurde ihm eine zweite Belehrung zuteil. Die nach § 55 StPO: Er muß nicht aussagen, wenn er sich dadurch der Gefahr aussetzt, daß dann gegen ihn ermittelt wird. Ihm stand sogar ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zu. Wegen der äußerst kritischen Nähe.

Aus dem von mir geführten – vollständigen (!) – Wortprotokoll

    Vorsitzender Richter:
    Sie müssen hier also gar nichts sagen, wenn Sie nicht wollen. Wie halten Sie es? Möchten Sie aussagen?

    Zeuge:
    Nein!

    Vorsitzender Richter:
    Dann sind Sie als Zeuge entlassen. Ich hoffe, Sie haben genug Geld für die Rückfahrkarte dabei. Tschüß.

Der Zeuge verläßt wortlos den Saal.

Es ist erstaunlich, was menschliche Blutgefäße für einen Druck aushalten können.

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3 Antworten auf Der Blutdruck des Zeugen

  1. 1
    ck says:

    Gibt es nicht irgendsoeine Kostenentschädigung für Zeugen?

    Wird einem diese nicht zuteil, wenn man vorgeführt wird?

  2. 2
    Jo Breu says:

    @ck
    Grds. Ja, Details siehe JVEG.
    Doch, nur die Kosten für die Anreise nicht.
    Dem Zeugen ist zu wünschen, dass er die 3-Monats-Frist nicht verpasst …

  3. 3
    m.f. says:

    ja, ausfallentschädigung und dergleichen bekommt man (beim arbeitgeber bescheinigen lassen, formular liegt der ladung normalerweise bei), ebenso werden wegekosten ersetzt. keine ahnung was man noch an kosten anbringen kann, ist aber alles schon entspr. geregelt und lässt sich herausfinden…. prinzipiell fragt der vorsitzende richter eigendlich wenn man entlassen wird ob man noch kosten oder aufwandsentschädigungen oder so ähnlich anbringen will. „ja“ -> „hier, dein formular“ oder so ähnlich. ab zur kostenstelle/kasse, plausibel darlegen was ansteht -> zur kasse, auszahln. in kleineren gerichten im gleichen zimmer, in größeren gerichten 2 getrennte zimmer. manchmal auch 2 zimmer mit dem gleichen zuständigen beamten.. ;)
    mir bekannte kostensätze die ausgezahlt wurden reichen bis 400€, bei mir pers. war immer alles in der nähe, sprich eigendlich immer unter 100€