Rituale

Seit fast 20 Hauptverhandlungsterminen hat sich daran nichts geändert. Und ich bin mir sicher, das wird sich auch in den kommenden 40 Terminen nicht ändern.

Der Vorsitzende der Strafkammer betritt morgens irgendwann den Saal und begrüßt jeden der bereits Anwesenden mit Handschlag. Je nach Uhrzeit sind das schon ‚mal ein gutes Dutzend höchst persönliche „Guten-Morgen-Grüße“.

Auch bei der Eröffnung der Sitzung mag es der Verhandlungsführer gern rituell: Erst wenn die gesamte Mannschaft (inkl. der ein, zwei Frauen) für einen ganz kleinen Moment zur Ruhe gekommen ist, spricht er die Formel:

„Guten Morgen, ich eröffne die Sitzung der 93. Großen Strafkammer. Bitte nehmen Sie Platz.“

Dies ist deswegen so bemerkenswert, weil der Richter die Verhandlung im übrigen recht locker und leger führt. Das morgendliche Ritual wird daher von niemandem als unangenehm oder übertrieben empfunden.

Dieser Beitrag wurde unter Richter veröffentlicht.

6 Antworten auf Rituale

  1. 1
    A.N. says:

    Klingt gut!

  2. 2
    Karlmann says:

    Auch wenn die „93.“ Strafkammer hier etwas übertrieben sein dürfte, würde mich als Provinzverteidiger am meisten beeindrucken, daß es an einem einzigen Gericht überhaupt mehr als 5 Strafkammern gibt… Dafür beschäftigen wir uns mit eher großstadtfremden Problemen wie der Kriminalität im Bereich Ackerbau und Viehzucht (z.B. Misthaufen als strafbare Umweltverschmutzung?)…

      Das LG Berlin hat 40 Große Strafkammern, 22 Kleine Strafkammern, 12 Strafvollstreckungskammern, eine Rehabilitierungskammer und eine Kammer gemäß § 74 a Abs. 4 GVG. Hier ist der Geschäftsplan für das Jahr 2010. Wir sind hier nicht in der Provinz. :-)

      Und: Es gibt tatsächlich in Berlin eine 93. Strafkammer, aber das ist eine Strafvollstreckungskammer; in meinem Beitrag handelt es sich um eine fiktive Kammer, deren Vorsitzender Richter Graf Gottfried von Gluffke heißt. crh

  3. 3
    RA JM says:

    Das Pfötchengeben klingt nach Migrationshintergrund (östliche Bundesländer) ;-)

  4. 4
    Jürgen says:

    Auf jeden Fall erreicht der Richter so, dass alle Anwesenden zu Beginn das Gefühl haben, wahrgenommen und akzeptiert zu sein, und er schafft es, den Beginn der Verhandlung allen gegenüber deutlich zu machen. Es findet ein Bruch zu allem vorherigen statt, jeder widmet der Verhandlung zu Beginn seine volle Aufmerksamkeit.

      Ja. Und genau so muß das. crh
  5. 5
    Lutz says:

    Tja, das ist wie bei den Bussen. Nur weil es den Bus 256 gibt, heißt es nicht, dass es 256 Buslinien gibt.

    Deswegen wurde mir damals im Referendariat auch eingebläut, dass man in Urteilen nicht „12. Zivilkammer“ sondern „Zivilkammer 12“ schreiben soll…

    Ist aber egal, eigentlich.

      Jaja, die Zivilisten waren schon immer etwas verdreht. ;-) crh
  6. 6
    fernetpunker says:

    Ich nehme schwer an, dass die genannten 60 Verhandlungstermine auch fiktiv sind?

      Nein, die sind real. crh