Fallensteller

Der Mandant und ein paar seiner Freunde sind angeklagt wegen gemeinsamen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Bei zwei der Mitangeklagten steht der Anklagevorwurf auf dünnem Eis: Ob der Nachweis gelingt, daß sie Bandenmitglieder waren, steht in den Sternen.

Für den Mandanten sah es hingegen gar nicht gut aus, deshalb hatte ich ihm zur Strafmaßverteidigung geraten: Geständnis gegen Strafnachlaß. Das hat funktioniert. Sein Verfahren wurde abgetrennt und er bekam ein akzeptables Urteil, das dann auch gleich rechtskräftig wurde.

Zwei Wochen später bekommt er Post: Die Ladung als Zeuge in dem Verfahren gegen die übrig gebliebenen Angeklagten. Damit hatten wir gerechnet. Denn nachdem sein Verfahren rechtskräftig entschieden ist, meinen das Gericht und die Staatsanwaltschaft, der Mandant habe nun kein Zeugnisverweigerungsrecht mehr. Schließlich könne er sich ja nun selbst nicht mehr belasten, nachdem er rechtskräftig verurteilt wurde.

In diese Falle tappt der Mandant aber nicht. Schließlich geht es ja nicht darum, daß er sich nicht mehr belasten kann, sondern darum, daß er sich möglicherweise der Gefahr aussetzt, ein weiteres Mal strafrechtlich verfolgt zu werden, wenn er jetzt aussagt. So jedenfalls hat sich der Gesetzgeber das gedacht, als er vor ewig langer Zeit den § 55 StPO konstruiert hat.

Und diese Gefahr ist schon allein deswegen gegeben, weil die Anklage und auch sein Urteil in einigen Punkten einem Schwamm nicht ganz unähnlich ist.

Dann werde ich den Mandanten wohl diesmal als Zeugenbeistand ins Gericht begleiten …

Dieser Beitrag wurde unter Richter, Staatsanwaltschaft, Strafrecht veröffentlicht.

15 Antworten auf Fallensteller

  1. 1

    Hallo Carsten,

    Recht hast Du – wie immer. In Siegen wird es auch immer wieder regelmäßig versucht, Mandanten auf das Glatteis zu führen.

    Klaus

  2. 2
    Rainer says:

    Ich hoffe, Sie schaffen es, Ihren Mandaten vor Schlimmerem zu bewahren.

    Manchmal, so denke ich, muss man sich aber auch den Konsequenzen seines Tuns stellen. Auch wenn es unangenehm ist.

    Rainer

  3. 3
    studiosus juris says:

    Für den Mandanten sah es hingegen gar nicht gut aus, deshalb hatte ich ihm zur Strafmaßverteidigung geraten

    Wie darf man sich einen solchen Rat vorstellen? Etwa so: „Ich gehe davon aus, dass Sie unschuldig sind und verteidige dementsprechend. Sollten Sie es doch gewesen sein, dann sagen Sie es.“?

  4. 4
    RA says:

    Vereinfacht gesagt:
    Es sieht schlecht aus, sie werden auf jeden Fall verurteilt. Deshalb sollten wir versuchen die Strafe so gering wie möglich ausfallen zu lassen, sprich gegebenenfalls geständig sein, mittäter, hintermänner nennen usw…

  5. 5

    @ studiosus juris:

    Ich gehe weder nicht davon aus, daß ein Mandant schuldig ist. Er gilt als unschuldig. Basta! Und zwar solange er nicht rechtskräftig durch ein unabhängiges Gericht verurteilt wurde.

    Steht irgendwo, ich glaube in der EMRK oder einer ähnlichen Dunkelnorm. ;-)

    Im Groben zutreffend gibt Ihnen RA die Antwort.

  6. 6
    egal says:

    Und wenn er Ihnen sagt, er habe es getan? Wie verteidigen Sie dann?

  7. 7
    Malte S. says:

    Genau so wie sonst? Wo ist das Problem?

  8. 8
    studiosus juris says:

    Erkenne da nur ich einen Widerspruch zwischen Unschuldigkeit einerseits und einem Rat zum Geständnis andererseits?

    1.

    Für den Mandanten sah es hingegen gar nicht gut aus, deshalb hatte ich ihm zur Strafmaßverteidigung geraten: Geständnis gegen Strafnachlaß.

    2.

    Ich gehe weder davon aus, daß ein Mandant schuldig ist. Er gilt als unschuldig. Basta!

    „Sie sind unschuldig, aber gestehen Sie.“ Oder wie? Wenn er für Sie unschuldig ist, wie können Sie ihm dann zu einem Geständnis raten? Etwa über den „Ausweg“ zu sagen „Im Gegensatz zu mir könnte das Gericht zu der Auffassung kommen, dass Sie schuldig sind. Deshalb gestehen sie besser.“ Ja, wie denn, wenn er unschuldig ist? ;)

  9. 9

    Sie „erkennen“ keinen Widerspruch, sie sehen einen. Weil sie nicht richtig lesen und weil sie sich weigern, nachzudenken? Oder liege ich da flasch?

  10. 10
    studiosus juris says:

    Nochmal gelesen und wohl immer noch nicht verstanden.

    Wenn für Sie ein Mandant unschuldig ist, verstehe ich nicht, wie man ihm zur Strafmaßverteidigung raten kann. Bei Unschuld muss das Ziel doch Freispruch sein?
    Und wenn der Mandant für Sie unschuldig ist, ergo die Tat nicht begangen hat, wie kann man ihm dann zu einem Geständnis raten? Was soll er denn gestehen?

  11. 11
    Malte S. says:

    Wenn man dem Mandanten glaubt, dass der Vertrag bestand, er aber keine Beweise hat, dann rät man ihm doch auch von der Klage ab, oder?

    Der Glaube des Verteidigers ist doch egal. Der Mandant ist qua Gesetz unschuldig, bis die Schuld bewiesen wurde. Wenn davon auszugehen ist, dass die Schuld bewiesen wird, dann muss er auf der Rechtsfolgenseite versuchen, etwas zu erreichen.

  12. 12
    studiosus juris says:

    @Malte S.:
    Richtig. Der Mandant ist qua Gesetz unschuldig, bis die Schuld bewiesen wurde.
    Denkt man das konsequent weiter, kommt es auf die Höhe der Wahrscheinlichkeit, mit welcher die Schuld festgestellt werden könnte, doch nicht an.
    In dem Stadium, in dem der Angeklagte als unschuldig gilt, wird ihm aber zu einem (ja eigentlich nicht möglichen) Geständnis geraten. Das verstehe ich nicht.

  13. 13
    Malte S. says:

    Ich verstehe Dein Problem schlicht nicht. Ein Stratege muss ja auch immer entscheiden, ob der den Feind (die Anklage) in der 1. Reihe (Überführung) oder in der zweiten Reihe (Strafmaß) stoppen will. Und selbst die erste Reihe gar keinen und die zweite Reihe nur leichten Einfluss haben, hat man dennoch einen leichten Schaden verursacht. In Anbetracht der Tatsache, dass man seinen König nicht einfach umkippen kann bzw. sollte und ein Rückzug (Flucht) nicht ratsam ist, muss man also im Strafprozess (wie in jedem anderen) auch die Strafzumessung beachten.

    Die gesetzliche Vermutung der Unschuld tangiert auf dieser Ebene mE nicht Strategie der Verteidigung.

  14. 14
    sso says:

    Was das Zeugnisverweigerungsrecht angeht, schließt sich die königlich-bayerische Examensklausur von letzter Woche sich der Meinung von Gericht und StA an. Wenns um andere Taten geht, passt § 55 StPO wieder (logo), aber wieso sollte er im Rahmen der verurteilten Tat noch verfolgt werden? Oder steh ich auf dem Schlauch?

  15. 15
    Subsumtionsautomat says:

    Strafverteidiger kennen sie eigentlich alle, die sog. „Mosaiktheorie“ (betrifft den erwähnten § 55 StPO). Oft wird aber übersehen, dass das BVerfG und der BGH von der diesbezüglichen Ausgangsentscheidung in neueren Entscheidungen – zu Recht – deutlich zurückgerudert sind. Es verbleiben nur noch wenige Fälle, in welchen die Mosaiktheorie noch greift.
    Der reine § 55 StPO bedarf demgegenüber zumindest einiger Anhaltspunkte, dass neben der Straftat, für die der Mandant verurteilt wurde, von ihm noch weitere Straftaten begangen wurden, über die er bei wahrheitsgemäßer Beantwortung der jeweiligen Frage aussagen müßte. Soweit also die Anklage gegen die Mittäter im Wesentlichen mit der Anklage identisch ist, die den Mandanten betraf, muss er IMHO idR aussagen.