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Erhöhte Gefahr

Verlust des Versicherungsschutzes durch Leistungssteigerung

Die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung soll einerseits dem Geschädigten helfen, seinen Schaden auszugleichen, andererseits den Schädiger vor dem wirtschaftlichen Ruin bewahren. Da aber Versicherungsunternehmen jedoch keine mildtätigen Vereine sind, kommt es schon einmal zu Streit über die Frage, ob der Versicherer nun zahlen muß oder nicht.

Der Fall: Wilhelm Brause kauft sich die neue R1. Im Kraftfahrzeugbrief sind 98 PS eingetragen; das Mopped ist also gedrosselt, um einen nicht unerheblichen Teil der Versicherungsprämie zu sparen. Stolz auf seinen Neuerwerb geht Brause auf Piste und freut sich knieschleifend über die high tech aus Fernost – bis Bulli Bullman ihm mehr oder minder aufrecht sitzend auf seiner 600er um die Ohren fährt: Die kleine 600er ist eben nicht gedrosselt. Ohne groß zu überlegen, wird die R1 „aufgemacht“; nun ist Brause wieder der Chef im Ring. Allerdings fragt sich Brause ein paar Wochen später, ob das denn wirklich so gut war: Nach einer Wochenendtour wieder zurück in der Stadt kommt ihm Mütterchen Mü vor das Rad, als sie auf dem Zebrastreifen die Straße überqueren will. Mü hat’s übel erwischt – die Yamaha ist verbogen. Brauses Versicherer lehnte die Gewährung von Versicherungsschutz und damit die Zahlung des Schadensersatzes an Mü ab; außerdem verweigert er den Vollkaskoschutz. Es folgt die 3D-Frage: Darf der das?

Die Lösung: Ob Brause nun selbst den Schaden der Mü ganz oder teilweise zu ersetzen und den Schaden an seiner R1 selbst zu tragen hat, weil der Versicherer von der Leistungspflicht ganz oder teilweise befreit ist, hängt von mehreren Faktoren ab. Aber der Reihe nach.

Durch die Entdrosselung hat Brause aus Sicht des Versicherers nach Abschluß des Vertrages die versicherte Gefahr objektiv erhöht, ohne dies dem Versicherer anzuzeigen. Durch die Benutzung der entfesselten R1 hat er daneben auch subjektiv zur Gefahrenerhöhung beigetragen. Dies hat zur Konsequenz, daß der Versicherer zunächst einmal berechtigt ist, den Vertrag fristlos zu kündigen. Dies ist nicht unbedingt schlimm, wenn Brause rechtzeitig für Deckung durch einen anderen Versicherer sorgt. Darüber hinaus hat der Versicherer aber grundsätzlich das Recht, die Zahlung des Schadensersatzes ganz und teilweise zu verweigern.

Hier muß man unterscheiden zwischen der Haftpflicht- und der Kaskoversicherung. Soweit es um die Leistung aus der Kaskoversicherung geht, braucht der Versicherer wegen dieser Obliegenheitsverletzung Brauses überhaupt nichts zu zahlen. Dies kann im Einzelfall das wirtschaftliche Aus bedeuten, wenn es sich beispielsweise um ein per Ratenkredit finanziertes Fahrzeug handelt.

Bei der Haftpflicht ist die Höhe der Leistungsfreiheit gedeckelt auf 5.000,00 Euro pro Versicherungsfall; im schlimmsten Falle würde der Versicherer von Brause also erst an Mü zahlen, anschließend von ihm Regreß bis zu 5.000,00 Euro fordern, den Brause dann auch zu zahlen hätte.

Die Freistellung des Versicherers von der Leistungspflicht setzt jedoch voraus, daß der Versicherungsnehmer die Gefahr schuldhaft erhöht hat. Dem Versicherer wird es jedoch nicht sonderlich schwerfallen, das Verschulden nachzuweisen – weder in dem oben geschilderten Fall, noch in den zahlreich vorhandenen Varianten des täglichen Lebens.

Brause hat hier vorsätzlich gehandelt, als er die Drossel entfernt hat. Aber auch dann, wenn Brause das Mopped (gebraucht) gekauft und zunächst nichts von der Entdrosselung gewußt hätte, wäre ihm ein Verschulden leicht nachzuweisen: Ausreichend ist nämlich auch schon leichte Fahrlässigkeit. Wenn man auch nur eine Sekunde ernsthaft darüber nachdenkt, weiß man, daß diese leichte Fahrlässigkeit fast immer gegeben ist, wenn sich eine Gefahrenerhöhung eingestellt hat. Wem bitteschön will Brause weismachen, daß er nicht gemerkt hätte, daß das Mopped gute 60 PS mehr hat? Und: Er hätte sich vergewissern müssen, daß sich das Fahrzeug, mit dem er rumdüst, verkehrssicher und zulassungsrechtlich unbedenklich ist.

Unterläßt er diese Prüfung, liegt Fahrlässigkeit vor. Es stellt sich in dem oben geschilderten Fall jedoch zusätzlich die Frage, ob denn die Entdrosselung überhaupt einen Einfluß auf den Verkehrsunfall gehabt hatte. Mit anderen Worten: War die Leistungssteigerung bzw. die Gefahrerhöhung überhaupt ursächlich dafür, daß Brause die Mü auf dem Zebrastreifen angefahren hat? Hier fangen Brauses Probleme dann richtig an. Der Versicherer muß dem Versicherungsnehmer neben dessen Verschulden noch nachweisen, daß sich die Gefahr erhöht hat. Nichts einfacher als das, dafür gibt es z.B. Rollenprüfstände, die die Leistung messen, schon fast an jeder Straßenecke.

Ist das Mopped nicht mehr fahrbereit, reicht auch ein Blick in den Mikrochip der Blackbox: Fehlt die Drossel, liegt der Beweis auf der Hand. Für die Nicht-Ursächlichkeit hingegen trägt Brause die Beweislast. Brause muß hieb- und stichfest nachweisen, daß der eingetretene Schaden eben nicht durch die Leistungserhöhung eingetreten ist. Wenn die Entdrosselung auch nur eine Kleinigkeit mitursächlich war, hat Brause Pech gehabt.

In dem oben beschriebenen Fall wird Brause elende Schwierigkeiten haben, diesen sogenannten Kausalitätsgegenbeweis zu führen. Man braucht keine große Vorstellungskraft, um zu wissen, wohin eine falsch verstandene Sparsamkeit führen kann. Um ein paar Hunderter zu sparen, riskiert man, in erheblicher Höhe in Anspruch genommen zu werden.

Abschließend sei noch erwähnt, daß bei Polizei und Versicherungsunternehmen meist hochqualifizierte Spezialisten beschäftigt werden, die solche Spielereien mit verbundenen Augen erkennen. Auch die Gefahr, entdeckt zu werden, hat sich in den vergangenen Jahren erheblich erhöht.

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