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Unsicheres ABS

Unfall durch fehlendes ABS (eine Geschichte aus dem Jahr 1999)

Es gibt zwischenzeitlich ein paar Modelle auf dem Motorradmarkt, die über ein Antiblockiersystem verfügen. Grundsätzlich eine feine Sache, die sicher viele Stürze zu verhindern imstande war und ist.

Hier und da gibt es jedoch physikalische Grenzen, worüber auch dieses elektronisch überwachte Bremssystem nicht hinauskommt: Bremsen in Schräglage beispielsweise ist trotz ABS immer noch eine heikle Angelegenheit. Aber auch der Faktor Mensch spielt eine tragende Rolle im Zusammenhang mit der Frage nach der Sturzverhinderung bei einer Vollbremsung.

Dazu folgender Fall: Wilhelm Brause ist seit über 40.000 km in zwei Jahren auf einer ABS-bestückten BMW unterwegs. Anfangs hatte er mit der neuen Bremse noch so seine Schwierigkeiten, aber nach den ersten Vollbremsungen, bei dem er das hochfrequente Tack-Tack-Tack aus Richtung Vorderrad vernahm, faßte er Vertrauen zu dem Blockierverhüterli. In zahlreichen Situationen – Paßstraßen bergab auf Kopfsteinpflaster bei Nässe, Splitt oder Sand in Bremszonen vor Kurven, Notbremsungen – gewöhnte Wilhelm Brause sich daran, daß er sich auf die Bremse verlassen kann. Irgendwann dachte er dann nicht mehr darüber nach, wie fest er am rechten Hebel zog; er hatte den Kopf frei für andere wichtige Sachen. Insgesamt also ein großer Fortschritt in der Motorrad-Bremstechnik.

Es kam der Tag, da reichte dem heimlichen Raser die gemütliche BMW nicht mehr; Brause legte sich ein Zweitmopped zu und zog fortan mit der neuen Aprilia an Wochenenden seine Kreise auf der Rennstrecke. Die Italienerin verfügt über eine bissige Bremse vorne, die sich im Zusammenhang mit warm gefahrenen Reifen auf dem griffigen Beton als äußerst zuverlässige Stopper erwiesen. Brause findet Spaß daran, Stoppies vorzuführen, also mit erhobenem Hinterrad zum Stehen zu kommen. Sowas geht mit ABS naturgemäß nicht. An einem Donnerstag nachmittag fuhr er mit der BMW in seine Werkstatt, um sie gegen das Rennerle umzutauschen; es stand ein Wochenende auf der Strecke an. Nur noch eben schnell nach Hause, Schutzkleidung anziehen (!), Klamotten packen und dann sollte es losgehen.

Mit den Gedanken schon bei den Knieschleifern ging’s zügig über die Ostberliner Stadtstraßen. Weit nach vorne gebeugt in sportlicher Sitzhaltung sieht Brause die über der Straße hängende Ampel nicht; erst auf Höhe der Haltelinie bemerkt er aus den Augenwinkeln rechts die rote Laterne und den aus der selben Richtung startenden Querverkehr.

Als rechtstreuer Moppedfahrer versucht Wilhelm nicht, mit Vollgas noch über die Kreuzung zu huschen; er wirft den Anker. Die Klötzchen beißen in den Stahl und er rechnet damit, gleich das vertraute Tack-Tack-Tack zu hören. Statt dessen hört Brause das Plastik auf dem rutscheligen Asphalt zersplittern und sieht sich haarscharf an dem Golf vorbei der Aprilia hinterherrutschen. Das gewohnte, hier aber fehlende ABS führte zum Blockieren des Vorderrades und das wiederum (nahezu zwingend) zum Sturz, zum Sachschaden und wegen nur spärlicher Schutzkleidung zu Knochenbrüchen.

Gefährliches ABS also? Nä, „nur“ fehlende Aufmerksamkeit. Gefährlich ist es, wenn Mensch quasi nur mit Halbgas aufpaßt, statt sich auf die speziellen Eigenheiten, die jedem Mopped inne sind, voll zu konzentrieren. Die ABS-gewöhnten Fahrer mögen aufpassen, wenn sie es wieder einmal mit unregulierten Beißern zu tun bekommen.

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