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Rechtsfahrgebot

Linienführung: Ideallinie oder Rechtsfahrgebot?

Es gibt eine Vielzahl von Ansichten über die „richtig“ gefahrene Ideallinie. Jetzt kommt noch eine hinzu: Die des Bundesgerichtshofes (BGH). Es geht um das Rechtsfahrgebot des § 2 Absatz 2 Straßenverkehrsordnung (StVO) : „Es ist möglichst weit rechts zu fahren, nicht nur bei Gegenverkehr, […], in Kurven oder […]“. Diese Norm hatte der BGH auf den folgenden Fall anzuwenden:

Graf Gottfried von Gluffke fährt mit seinem Softchopper gemütlich übers Land, erfreut sich an dem sanften Blubbern seines Japan-V2 und schwingt locker von Kurve zu Kurve. Wie er es im zuvor absolvierten Fahrerlehrgang für Wiedereinsteiger gelernt hat, steuert er beschaulich und vorausschauend auf eine lange Rechtskurve zu. Dabei orientiert er sich zunächst nach links am Mittelstreifen, steuert den Chopper langsam an den rechten Fahrbahnrand, um sich nach dem Scheitelpunkt wieder an die Mittellinie herantreiben zu lassen – die klassische Ideallinie eben, um mit möglichst großem Radius und möglichst tiefem Einblick in den weiteren Kurvenverlauf sicher ums Eck zu kommen. Noch bevor Gluffke den Scheitelpunkt erreicht hat, kommt ihm jedoch Wilhelm Brause mit seinem Sportwagen entgegen, schneidet dabei mit zügigem Tempo die Kurve und gelangt so etwa 65 cm über die Mittellinie hinaus auf die Gegenfahrbahn, auf der Gluffke gerade die Ideallinie übt. Der Moppedfahrer ist anschließend auf Dauer nicht mehr imstande, Mopped zu fahren. Dafür will er vollen Schadensersatz und Schmerzensgeld von Brause, weil dieser gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 II StVO verstoßen habe – meint Gluffke.

Das Landgericht Köln und in zweiter Instanz dann das Oberlandesgericht Köln waren noch anderer Ansicht: Auch Gluffke habe gegen § 2 II StVO verstoßen und müsse zu einem Drittel den Schaden selbst tragen. Wäre Gluffke in einem Sicherheitsabstand von 1 m vom rechten Fahrbahnrand gefahren, hätte ihn der Sportwagen nicht vom Mopped geholt. Da Gluffke aber 2,40 m (gemessen von der Reifenaufstandsfläche) vom rechten Fahrbahnrand seine Kreise zog, treffe ihn 1/3 der Mitschuld, also habe er auch 1/3 der Kosten zu tragen.

Dem armen Gluffke sträubte sich ob solcher Argumentation die vollständige Körperbehaarung und er ging in die 3. Instanz zum BGH. Der hatte im Ergebnis ein Einsehen mit Gluffke. Wenn nämlich die Ansicht der Vorinstanzen zuträfe, bedeutete dies, daß einem Moppedfahrer eben nicht die volle Breite seiner Fahrbahn zur Verfügung stünde, sondern er müßte stets rechts und links jeweils 1 m Abstand halten. Im vorliegende Falle bedeutete dies, daß Gluffke durch die gesamte Kurve auf einem Streifen von 90 cm hätte fahren müssen. Bei einer Fahrzeugbreite von etwa 75 cm bleibt da kein großer Spielraum übrig. Aber geht man einmal davon aus, daß beide sich entgegen kommenden Verkehrsteilnehmer verpflichtet sind, den Sicherheitsabstand von der Mittellinie einzuhalten, reicht eigentlich ja jeweils schon ein halber Meter Abstand. Wenn sich beide Fahrzeuge 50 cm von der Mittellinie entfernt halten, haben wir dann den ganzen Meter, den das Recht vorschreibt. Mit dieser Idee konnte der BGH dem Gluffke helfen, da Gluffke ca. 65 cm vom Strich entfernt war. Die obersten Zivilrichter argumentierten darüber hinaus, für Gluffke sei die herannahende Gefahr in Form des Wilhelm Brause in seinem Sportwagen nicht erkennbar gewesen. Gluffke durfte davon ausgehen, daß Brause dort bleibt, wo er hingehört.

Außerdem – so formuliert es der BGH – komme es immer auf den Einzelfall an und je nach dem sei die Formulierung „möglichst weit rechts“ unterschiedlich in Maßgaben zu übersetzen. Der Geber der Straßenverkehrsordnung wollte keine starre Regel aufstellen, sondern die Auslegung der recht schwammigen Formulierung in Hinblick auf die Örtlichkeit, der Fahrbahnart und -beschaffenheit, der Fahrgeschwindigkeit, den Sichtverhältnissen, dem Gegenverkehr und anderen Umständen anpassen.

In dem entschiedenen Fall bestand kein Anlaß dafür, daß Gluffke tatsächlich 1 m Abstand von der Mitte halten mußte. In einem anders gelagerten Fall wäre das anders zu entscheiden gewesen – so jedenfalls der BGH in seiner weisen Vorausschauung. Diese „Flexibilität“ der Norm hat jedoch zur Folge, daß es keine abstrakte Regel geben kann (z.B. 50 cm Abstand von der Mitte), sondern es muß immer am einzelnen Fall entschieden werden, ob das Rechtsfahrgebot verletzt ist, wenn weniger als 1 m Luft ist zum mittleren Strich.

Wir müssen als Moppedfahrer also berücksichtigen, daß es nicht ausreicht, an Fahrerlehrgängen teilzunehmen. Wichtig scheint danach auch die Lektüre von Vorschriften und Urteilen sowie die Einholung von Rechtsrat, damit wir schon vor der Kurve wissen, was die erfahrenen (?) Richter nachher urteilen werden.

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