Überforderte Justiz in Brandenburg?

Brandenburgertor in PotsdamAn den Landgerichten des Landes Brandenburg werden zur Zeit ein paar größere Strafsachen verhandelt. In einem Verfahren vor dem Landgericht in Frankfurt (Oder) geht es um den mutmaßlichen Maskenmann. Wenn die Frankfurter Richter mit ihm fertig sind, können sie anschließend über den ehemaligen Betreiber des Hotels „Resort Schwielowsee“ (noch einmal) richten.

In Potsdam liefen im vergangenen Jahr gleich drei Prozesse um die so genannte „Pillenbande“; zwei davon werden das Gericht auch in 2015 beschäftigen. Parallel dazu hat dieselbe 5. Strafkammer des LG Potsdam auch noch mit dem ehemaligen Chef der Firma „Human Bio Sciences“ aus Luckenwalde zu tun.

Einen ausführlicheren Überblick über das Programm liefert Lisa Steger auf rbb-online. Sie beschreibt das (mühsame) „Ringen der Brandenburger Justiz mit Mammutverfahren“, das einen „Rückstau der Angeschuldigten“ ausgelöst habe.

Rabatt für Verzögerungen und Geständnisse
Die Gerichtsreporterin stellt fest, daß Verfahrensverzögerungen sich grundsätzlich günstig auf das Strafmaß auswirken. Als ein möglicher „Ausweg für lange Verfahren“ gelte der „Deal“ als Hilfsmittel, „einer Art Handel zwischen Justiz und Beschuldigten“. Grundlage für solche Abreden, die eine Umfangstrafsache beenden, zumindest aber verkürzen soll, ist das Geständnis des Angeklagten. Wenn er gesteht, gibt es einen Nachlaß.

Vermißte Reue
55469_web_R_by_Dieter Wendelken_pixelio.deFrau Steger kritisiert, wie einige Angeklagte mit diesem Handel umgehen. Sie vermißt ein wenig die von Ernsthaftigkeit getragene Reue. Es gibt reichlich strenge Formvorschriften seit August 2009 in der StPO, die Reue gehört indes (noch) nicht zu diesem Geständnishandel.

Vier Jahre nach Einführung der Handelsregeln, nämlich am 19. März 2013, hat der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts sich die Praxis der Gerichte angeschaut. Ihm lag ein Gutachten vor, das einer großen Zahl der deutschen Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte – eigentlich und aus objektiver Sicht – der Rechtsbeugung und Strafvereitelung attestierte; man hat sich schlicht über die gesetzlichen Dealregeln hinweg gesetzt und eigene Spielregeln praktiziert.

Teilweise werden die Geständnisse für Deals recht locker vorgetragen.

liest man in dem Beitrag über die „spektakulären Gerichtsfälle“ auf rbb-online über die Angeklagten. Das ist jedoch zulässig. Nicht zulässig ist aber das, was die Organe der Rechtspflege teilweise veranstaltet haben, um möglichst noch zu retten, was zu retten ist.

Schlampige Ermittlungen
Der Verteidiger des Angeklagten im „Maskenmann-Prozeß“, Rechtsanwalt Axel Weimann

… erklärte immer wieder, dass einseitig gegen seinen Mandanten ermittelt worden sei, und erhob Vorwürfe gegen die Polizei …

Der Verteidiger liegt allein aus statistischen Gründen sicherlich nicht daneben. Denn ein großer Teil der Strafprozesse wird heute praktisch von der Polizei geführt, bei den überlasteten Staatsanwaltschaften durchgewunken und von überforderten Gerichten in ausgedealten Verfahren dann irgendwie beendet. Ich empfinde es als ungeheuerlich, wenn erst das Bundesverfassungsgericht diese Richter „ernsthaft ermahnen“ muß, ihre Pflicht zu tun. Eine Justiz, die solche Zustände zuläßt, ist nicht akzeptabel.

Kostspielige Ermittlungen
Lisa Steger skizziert kurz die „äußerst kostspielige Ermittlungen“ gegen den „mutmaßliche Hintermann der Pillenbande“:

An seiner Ergreifung in Uruguay wirkten Behörden in Deutschland, Österreich, Rumänien, Tschechien, Spanien, Argentinien und eben Uruguay mit.

Ob die Ermittlungen tatsächlich teuer waren, geht aus den Akten nicht hervor. Wie auch sonst nichts darüber dokumentiert wurde, wie, ob und unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen diese Auslieferung stattgefunden hat. Wenn auf diese Art und Weise ermittelt wurde, darf man sich nicht wundern, wenn am Ende aufgeräumt werden muß. Schlampige Ermittlungen, die von niemandem – außer in der Beweisaufnahme dann von den Verteidigern – kontrolliert wurden, sind eine wesentliche Ursache für „Mammutprozesse“.

Unzeitgemäße Ausstattung der Justiz
Eine weitere Ursache habe ich in der Vergangenheit hier – zum Leidwesen mancher gelangweilter Blogleser – bereits wiederholt benannt:

StA PotsdamDas sind die vorsintflutlichen Methoden, mit denen die Staatsanwaltschaft Potsdam immer noch „arbeitet“. Wer in einer Cybercrime-Sache nicht mit adäquaten Arbeitsmitteln ausgestattet ist, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, maßlos überfordert zu sein. Auf die Kostenaspekte dieser Rückständigkeit sei hier nur am Rande hingewiesen.
 

Leidtragende Richter
Ausbaden müssen das zum einen die Richter. Die Staatsanwälte haben palettenweise die Aktenkartons bei der Strafkammer abgeladen und sitzen während des weiteren Verfahrens mit filmdünnen Handakten entspannt zurückgelehnt auf bequemen Schaukelstühlen im Gerichtssaal. Die Richter schreiben „Überlastungsanzeigen“, damit sie nicht noch mit weiteren Verfahren zugeballert werden. Und ärgern sich über Anträge, die die Verteidiger stellen müssen, weil die Angeklagten das Recht auf Verteidiger haben, die ausschließlich ihre und nicht heimlich die Interessen der Justiz vertreten.

Genötigter Angeklagte
Und dann waren da noch die Angeklagten. Die reisen jetzt auf eigene Kosten aus Thüringen und Hessen nach Potsdam. Zweimal pro Woche, bisher geplant bis Ende März. Wie es danach mit dem Broterwerb aussieht, mag sich jeder leicht vorstellen, der einen Arbeitsplatz hat.

Und was macht ein solcher Angeklagter dann, wenn ihm ein solchermaßen überforderter Richter ein Angebot macht: Geständnis gegen ein kurzfristiges Ende des Verfahrens? Wie reagiert ein Berufstätiger auf den Vorschlag: Entweder Du verzichtest auf Deine Rechte und legst ein Geständnis ab, oder wir verhandeln bis in den Sommer? 2016 wohlgemerkt!

Schweigen als Trumpfkarte?
654040_web_R_B_by_Hans-Joachim Schüngeler_pixelio.deIst es wirklich die „Trumpfkarte im Ärmel“, von der Frau Steger spricht, wenn ein Angeklagter sich durch Schweigen verteidigt? Oder ist das der Schuß ins eigene Knie?

Die Selbstverstümmelung erscheint unter den genannten Voraussetzungen – insbesondere in Brandenburg – als die derzeit einzige Möglichkeit, sich nicht der Rechtlosigkeit zu ergeben, die entstanden ist, ja entstehen mußte, weil die armselige Justiz nicht mit Personen und Sachmitteln in notwendigem Umfang ausgestattet ist und wird.

Was nützt dem Angeklagten der Joker, wenn es am Ende heißt:

Operation gelungen / Verteidigung erfolgreich – Patient tot / Existenz vernichtet.

Zu den im Zusammenhang mit diesem Beitrag stehenden Themen „U-Haft schafft Rechtskraft“ und „Aussageerpressung“ schreibe später noch einen kleinen Besinnungsaufsatz. Dann das sind „Argumente“, die der Brandenburger Justiz im Ringkampf mit Mammutverfahren entscheidende Vorteile liefern.

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Bild Tor: Petra Schmidt / pixelio.de
Bild Hund: Dieter Wendelken / pixelio.de
Bild Joker: Hans-Joachim Schüngeler / pixelio.de
Bild Geschäftsstelle: shorpy.com

Dieser Beitrag wurde unter Justiz, Potsdam, Prozeßbericht (www.prozessbericht.de) veröffentlicht.

8 Antworten auf Überforderte Justiz in Brandenburg?

  1. 1
    Prozessökonomie says:

    Dass nicht schon im Laufe des Ermittlungsverfahren ein Geständnis erfolgt ist, wird beim „Deal“ im Zweifel einfach berücksichtigt und es wird ein wenig aufgeschlagen.

    Tat- und schuldangemessene Strafe?
    Möchte jemand ein Kaugummi?

    Die große Frage ist, ob ein Beschuldigter noch Herr seiner Lage ist, wenn er (beispielhaft) zwischen einer Bewährungsstrafe im Falle eines (auch falschen) Geständnisses und einer möglichen (je nach Verurteilungswillen des Gerichts) Haftstrafe über 2 Jahren wählen kann, die dann nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann, wenn er dieses Geständnis denn nicht abgibt.

    Kaum jemand ist bereit, so hoch zu pokern.

    Dass sich ein Gericht von der Schuld des oder der Angeklagten ÜBERZEUGT, ist nicht immer der Fall.

    Und so wird das Recht dann in die Tonne getreten.

  2. 2
    Anonym says:

    Wenn ich nicht wüsste, daß die RBB Reporterin ab und zu mal anwesend war, würde ich es nicht glauben. Mitbekommen vom Verfahren hat sie jedenfalls nicht viel. Niemand hat je gesagt „die Kunden seien selbst Schuld“, zumindest keiner von den geständigen Angeklagten. Auch hat niemand die Formulierung benutzt „Ich habe mich in U-Haft wohlgefühlt!“ (aus einem älteren Artikel). Und so gehts gerade weiter, fast jeder Artikel strotzt nur so von Fehlern.

    Da kann man nur hoffen, daß das Gericht sich nicht von der Presse beeinflussen läßt.

    • Mit dem sicheren Wissen, daß das Gericht und die Staatsanwaltschaft hier mitlesen (O-Ton: „Ich lese Ihre Artikel ja grundsätzlich nicht. Sie interessieren mich auch gar nicht. Aber was Sie da geschrieben haben …“): Ihre Hoffnung kann ich nicht teilen. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich mit dem einen oder anderen Blogbeitrag eine Ursache dafür setzen könnte, daß Richter und Staatsanwälte sich fröhlichere Gedanken machen, als ihre Beschlüsse und Verfügungen vermuten lassen. Sie sind herzlich eingeladen, mich dabei zu unterstützen – auch weiter so halbwegs anonym wie bisher. Meine Kontaktdaten haben Sie ja.

      Sehen wir uns am Montag? crh

  3. 3
    Redakteurin says:

    @ „anonym“

    Die Bemerkung, die Kunden seien „selbst Schuld“, stammt vom Angeklagten aus Pirmasens. Weiter sagte er seinerzeit im Frühjahr, es müsse einem doch der „gesunde Menschenverstand“ sagen, dass man derartige Pillen nicht ohne vorherige Verschreibung nehmen solle, bzw. dass dies mit Risiken einhergehe. Wörtlich sagte der Pirmasenser: „In Thailand wird so etwas auf der Straße verkauft.“

    Der Satz „Ich habe mich in der U-Haft wohlgefühlt, soweit man sich dort wohlfühlen kann“, stammt hingegen vom Angeklagten Wolfram W. aus NRW. Getätigt in der Hauptverhandlung, mitgeschrieben wie geäußert.

  4. 4
    Anonym says:

    Wenn man nur die Hälfte zitiert steht sogar in der Bibel „Es gibt keinen Gott!“. Der Angeklagte W. sagte wörtlich, dass er sich dort das erste mal wieder als Mensch behandelt gefühlt hatte, nach dem Transport. Dass er gerne in U-Haft war, hat er damit ganz sicher nicht gemeint.

    Der andere Angeklagte sagte in meiner Erinnerung nur den letzten Satz. Er hielt auch nicht seine Tätigkeit für eine Ordnungswidrigkeit, sondern die der reinen Webmaster. Er ist übrigens (zusammen mit zwei anderen Angeklagten aus diesem Verfahren) einer der drei die KEINEN „Deal“ haben. Auch dies war also sachlich falsch dargestellt.

  5. 5
    Anonym says:

    @crh: Ich halte das Gericht eigentlich für professionell genug, dass es sich nicht von der Presse _absichtlich_ beeinflussen lässt. ABER… die Verfahren ziehen sich ja schon eine kleine Ewigkeit und der Mensch tendiert zum Vergessen und ausserdem hat das Gericht ja noch ein paar andere Verhandlungen, während für die Angeklagten ihr eigener Prozess natürlich 100% Priorität hat. Wenn nun das Gericht (oder vielleicht auch nur ein Schöffe) diese eindeutig falschen Artikel liest, nimmt es vielleicht Dinge an die nie gesagt wurden und erinnert sich nur an ungeständige Angeklagte, die sich im Knast wohlfühlen.

  6. 6
    Redakteurin says:

    @ „anonym“

    Ihren Ausführungen entnehme ich, dass Sie selbst Angeklagter im erwähnten Verfahren sind? Ich vermutete es bereits.

    In diesem Fall wären Sie natürlich hochgradig befangen. Ich bleibe dabei, die Zitate sind korrekt. Ich hebe meine Mitschriften stets zwei Jahre auf, so auch diese.

  7. 7
    Geier says:

    Hallo Herr Hoenig,

    mittlerweile berichtet schon tagesschau.de von den Daten-Notständen in (u.a.) Brandenburg: http://www.tagesschau.de/inland/staatsanwaelte-ueberlastung-101.html

  8. 8

    […] für Kri­tik am Is­lam Aus­bil­dungs­zeit­schrif­ten: I read the JuS to­day, oh boy Über­for­derte Jus­tiz in Bran­den­burg? Ei­nem nack­ten Mann in die Ta­sche ge­grif­fen E-Mails von Kun­den müs­sen […]