Sie sind entlassen!

742728_web_R_B_by_Ulrich Merkel_pixelio.deManchmal muß es schnell gehen. Und manchen ist das dann zu schnell. Protokollführerinnen zum Beispiel.

Die Mandantin war nicht zum Hauptverhandlungstermin erschienen. Das Gericht meinte, ihr Fernbleiben sei einerseits nicht genügend entschuldigt, andererseits ihr Erscheinen aber erforderlich. Es war dann nicht mehr zu verhindern: Erst wurde der Haftbefehl nach § 329 Abs. 3 StPO erlassen, dem dann wenige Tage später die Verhaftung folgte.

Soweit, so dumm gelaufen. Der Rest war aber wieder recht glimpflich.

Ich konnte bereits einen neuen Termin mit dem Gericht vereinbaren, der nur drei Tage nach der Verhaftung lag. Der Transport – d.h. die Verschubung – vom Wohnsitz, an dem die Mandantin gepflückt, bis zur JVA Lichtenberg, in der sie eingetütet wurde, ging überraschend schnell: Binnen zweier Tage hatte sie das Ziel erreicht. Denn ich konnte erreichen, daß sie nicht per Sammeltransport nach Berlin verschubt wurde; es wurde auf meine Bitte ein Einzeltransport mit nur einer Übernachtung in einem Knast, bei dem die Zwischenstation gemacht werden mußte, organisiert.

Am Hauptverhandlungstag wurde die Mandantin morgens ins Kriminalgericht gebracht und die Hauptverhandlung konnte stattfinden. Am Ende der Hauptverhandlung war der Haftbefehl erledigt. Die Mandantin war wieder eine freie Frau.

Aber jetzt sollte eine Art Verwaltungsverfahren beginnen. Ihre Papiere und ein paar Habseligkeiten waren noch in der JVA Lichtenberg. Üblich ist im Moabiter Normalfall, daß die vormals Gefangene dann erst einmal wieder in die Vorführzelle verbracht wird, um dort auf den Justiz-Bus zu warten, der sie in die JVA bringt. Dort hätte es dann noch ein Weilchen gedauert, bis der ehemaligen Insassin ihr Sachen übergeben werden können. Das ist der übliche Weg. Und der dauert – Achtung: Verwaltungsverfahren – gefühlte 100 Stunden.

Deswegen beantragt fordert der kundige Strafverteidiger die so genannte Saalentlassung. Nach einer kurzen „Das-machen-wir-hier-aber-sonst-anders-Diskussion“ bekam die Mandantin dann die zweite Ausfertigung dieses Papiers.

Entlassunganordnung

Es gibt nach Schluß der Verhandlung nämlich keinen Grund mehr, die Mandantin in Haft zu behalten, nur weil ein Entlassungs-Verwaltungs-Verwahren nicht abgeschlossen war. Sie konnte in das Auto ihrer Familie einsteigen, die ich bereits vorher informiert hatte, und ihr Zeug selbst und zwar sofort abholen – gegen den anfänglichen Widerstand insbesondere der Protokollführerin, der es grooooße Mühe bereitete, eine zweite Ausfertigung der Entlassunganordnung auszudrucken.

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Bild: © Ulrich Merkel / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Justiz, Knast, Mandanten veröffentlicht.

8 Antworten auf Sie sind entlassen!

  1. 1
    doppelfish says:

    Ohgottotgott, hat sich die arme Protokollführerin denn schon von diesem Geschwindigkeitsschock erholt? Die Arme …

  2. 2
    Klara says:

    Zitat: „Die Mandantin war nicht zum Hauptverhandlungstermin erschienen. Das Gericht meinte, ihr Fernbleiben sei einerseits nicht genügend entschuldigt, andererseits aber erforderlich.“

    Für die Einfügung von ‚ihr Erscheinen‘ wäre durchaus noch Platz gewesen.
    ;-)

    • Danke. Fixed! crh
  3. 3
    Caron says:

    Ich wüsste ja gerne, wie lange das gemessen, nicht gefühlt gedauert hätte. Insbesondere: Hätte das noch eine weitere Nacht im Knast bedeutet?

    Man wundert sich ja manchmal. Als ich damals überraschend beim Bund entlassen wurde, sollte ich, obwohl es erst Mittag war, auch erst bis zum nächsten Tag bleiben, um mein Zugticket zu bekommen. Ich glaube, am Ende haben sie mir dann Bargeld in die Hand gedrückt, oder sowas.

  4. 4
    WPR_bei_WBS says:

    Zu meinem Verständnis: Es ist normal, dass ein theoretisch „freigelassener“ aus irgendwelchen Verwaltungsgründen weiter eingesperrt bleibt? Wenn ja: Was sagt denn das BVerfG dazu?

    • Was das BVerfG dazu sagt, kann ich nur vermuten. Meine Mandanten werden nach Aufhebung des Haftbefehl aus dem Saal entlassen, wenn sie das möchten. Meist kennen die Richter, die ich um die Saalentlassung bitte, und Justizwachtmeister den § 239 StGB eigentlich ganz gut. 8-) crh
  5. 5
    Hans A. says:

    Es wäre vielleicht mal zu überprüfen, ob „Das machen wir hier aber sonst anders“ nicht schon unter § 239 Abs. 2 StGB fallen kann. Ich kann mir schwer vorstellen, dass zu dem sonst üblichen Verfahren eine freiwillige Erklärung der Gefangenen gehört, sie würden gerne noch ein bisschen länger in Haft bleiben, um den Bürokraten eine Freude zu bereiten.

  6. 6
    WPR_bei_WBS says:

    @ crh:

    OK, mit der Antwort beruhigen sie mich – die Lage scheint recht klar zu sein :-)

  7. 7
    Verlobte von Wilhelm Brause says:

    Was muss man ausgefressen haben für eine Nacht im warmen Bett auf Kosten der Steuerzahler?
    War das die, welche schwarzgefahren war, wo die Mutti an den Anwalt geschrieben hatte?

    Nicht-aus-dem-Bau-wollen….

    Das gab es in D schon mehr als einmal.
    Immer Langstrafler, denen alle Bekannten weggestorben waren und immer schwer krank. Da kam mal ein Interview mit einem, der in der JVA bleiben durfte auf eigenen Wunsch, weil er mit dem Arzt, dem Sozialarbeiter und dem Pfarrer zum ersten male Menschen traf, die ihn gut behandelt haben. Tragisch, aber es war so.

  8. 8
    Thomas Hochstein says:

    Die geschilderte Vorgehensweise – d.h. „üblicherweise“ einen Angeklagten, dessen Haftbefehl aufgehoben wurde, nochmals in die JVA zu transportieren – ist jedenfalls in südlicheren Gefilden keineswegs üblich. Im Gegenteil: natürlich darf der bisher Inhaftierte als freier Mann (oder auch freie Frau) den Saal verlassen.

    Es wird allerdings *angeboten*, mit dem nächsten Transport nochmals in die JVA zurückzukehren, um dort die Entlassungsformalitäten abzuwickeln und auch direkt die Habe in Empfang nehmen zu können. Diese Vorgehensweise – deren Regelung insb. im Hinblick auf Versicherungsfragen (Transport des nicht mehr Inhaftierten durch ein Fahrzeug des Vollzugs) nicht ganz einfach ist – dient allerdings tatsächlich dem Angeklagten, der sonst möglicherweise ohne einen Cent in der Tasche nur mit dem Klamotten auf dem Leib vor dem Gericht steht und noch nicht einmal eine Fahrkarte kaufen könnte, um zur JVA zu pilgern. Will er dieses Angebot (das ihm regelmäßig auch als solches vermittelt wird) nicht wahrnehmen, kann er gehen.

    Mit § 7 JVollzGB II kennt das Land Baden-Württemberg sogar eine noch weitergehende Regelung:

    „Aus fürsorgerischen Gründen kann Untersuchungsgefangenen auf Kosten der Justizvollzugsanstalt der freiwillige Verbleib in der Anstalt bis zum Vormittag des zweiten auf den Eingang der Entlassungsanordnung folgenden Werktags gestattet werden. Die oder der Untersuchungsgefangene ist darauf hinzuweisen, dass in diesen Fällen kein Anspruch auf eine Entlassung in der Zeit zwischen 18.00 Uhr und 8.00 Uhr besteht.“

    Ich kann mir allerdings nur schwer vorstellen, dass jemand gerne nochmal zwei Nächte hinter Gittern verbringen möchte …