Vertragsfallenrevision erfolglos

Bundesgerichtshof bestätigt Verurteilung wegen versuchten Betruges durch Betreiben so genannter „Abo-Fallen“ im Internet

Über die Frage, ob (u.a.) der kostenpflichtige Routenplaner aus dem Hause eines Hessischen Unternehmers eine strafbare Verletzung von Verbraucherschutzregeln ist, hat der 2. Senat des Bundesgerichtgshofs (BGH) am 5. März 2014 ein Urteil (2 StR 616/12) gesprochen. Darüber berichtet heute am 06.03.2014 die Pressestelle des BGH in der Mitteilung Nr. 043/2014:

Das Landgericht Frankfurt am Main hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen versuchten Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Aufgrund überlanger Verfahrensdauer hat es angeordnet, dass vier Monate der verhängten Strafe als vollstreckt gelten.

Nach den Feststellungen des Landgerichts betrieb der Angeklagte verschiedene kostenpflichtige Internetseiten, die jeweils ein nahezu identisches Erscheinungsbild aufwiesen, unter anderem einen sogenannten Routenplaner. Die Inanspruchnahme des Routenplaners setzte voraus, dass der Nutzer zuvor seinen Vor- und Zunamen nebst Anschrift und E-Mail-Adresse sowie sein Geburtsdatum eingab. Aufgrund der vom Angeklagten gezielt mit dieser Absicht vorgenommenen Gestaltung der Seite war für flüchtige Leser nur schwer erkennbar, dass es sich um ein kostenpflichtiges Angebot handelte. Die Betätigung der Schaltfläche „Route berechnen“ führte nach einem am unteren Seitenrand am Ende eines mehrzeiligen Textes klein abgedruckten Hinweis zum Abschluss eines kostenpflichtigen Abonnements, das dem Nutzer zum Preis von 59,95 € eine dreimonatige Zugangsmöglichkeit zu dem Routenplaner gewährte. Dieser Fußnotentext konnte in Abhängigkeit von der Größe des Monitors und der verwendeten Bildschirmauflösung erst nach vorherigem „Scrollen“ wahrgenommen werden.

Nach Ablauf der Widerrufsfrist erhielten die Nutzer zunächst eine Zahlungsaufforderung. An diejenigen, die nicht gezahlt hatten, versandte der Angeklagte Zahlungserinnerungen; einige Nutzer erhielten zudem Schreiben von Rechtsanwälten, in denen ihnen für den Fall, dass sie nicht zahlten, mit einem Eintrag bei der „SCHUFA“ gedroht wurde.

Das Landgericht hat den Angeklagten im Hinblick auf die einmalige Gestaltung der Seite nur wegen einer Tat und im Hinblick darauf, dass die Ursächlichkeit der Handlung für einen konkreten Irrtum eines Kunden nicht nachgewiesen sei, nur wegen versuchten Betrugs verurteilt.

Gegen dieses Urteil hat sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision gewandt. Er hat vor allem beanstandet, dass unter Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben eine Täuschungshandlung nicht vorliege und im Übrigen den Nutzern auch kein Vermögensschaden entstanden sei.

Der 2. Strafsenat hat das Rechtsmittel verworfen. Er hat ausgeführt, dass durch die auf Täuschung abzielende Gestaltung der Internetseite die Kostenpflichtigkeit der angebotenen Leistung gezielt verschleiert worden sei. Dies stelle eine Täuschungshandlung im Sinne des § 263 StGB dar. Die Erkennbarkeit der Täuschung bei sorgfältiger Lektüre schließe die Strafbarkeit nicht aus, denn die Handlung sei gerade im Hinblick darauf unternommen worden, die bei einem – wenn auch nur geringeren – Teil der Benutzer vorhandene Unaufmerksamkeit oder Unerfahrenheit auszunutzen.

Dies gelte auch unter Berücksichtigung der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken). Die Richtlinie führe jedenfalls hier nicht zu einer Einschränkung des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes.

Auch ein Vermögensschaden sei gegeben. Dieser liege in der Belastung mit einer bestehenden oder auch nur scheinbaren Verbindlichkeit, da die Gegenleistung in Form einer dreimonatigen Nutzungsmöglichkeit für den Nutzer praktisch wertlos sei.

  • Urteil vom 5. März 2014 – 2 StR 616/12
  • Landgericht Frankfurt am Main – Urteil vom 18. Juni 2012 – 5-27 KLs 12/08
  • Wir werden uns die Urteilsgründe, sobald sie uns vorliegen, genau anschauen. Soweit unserer Kanzlei die Details aus diesem Hessischen Verfahren bekannt sind, kann die Entscheidung keineswegs eins-zu-eins auf andere Modelle dieser (ehemaligen) Internet-Angebote übertragen werden. In den noch offenen Verfahren mit vergleichbaren Inhalten, insbesondere vor den Landgerichten in Köln und Hannover/Hildesheim, werden wir die Unterschiede herausarbeiten.

    Unserer Ansicht geht nach die Entscheidung des 2. Senats zu weit. Verbraucherschutz geht in Ordnung, aber bitte nicht mit der Keule des Strafrechts, mit der auf Tatbestände geschlagen wird, die erst bei mühsamer Interpretation des Wortlauts des § 263 StGB für Spezialisten erkennbar werden. Die Entscheidung scheint hier – wie bereits die des Landgerichts Hamburg – getragen zu sein, von dem Gedanken „Das geht doch nicht, sowas muß doch bestraft werden!“ und nicht von dem Grundsatz „Nulla poena sine lege.“ Aber darüber reden wir noch an anderer Stelle.

    Dieser Beitrag wurde unter Cybercrime veröffentlicht.

    16 Antworten auf Vertragsfallenrevision erfolglos

    1. 1
      alter Jakob says:

      „Verbraucherschutz geht in Ordnung, aber bitte nicht mit der Keule des Strafrechts, …“

      Na klar. Verbraucherschutz ist solange in Ordnung, solange dem nichts passiert, der den Verbraucherschutz ignoriert. Aber ich verstehe auch, dass man für die eigenen Mandanten das Beste herausholen will.

      Die Unterschiede zu „den noch offenene Verfahren mit vergleichbaren Inhalten, insbesondere vor den Landgerichten in Köln und Hannover/Hildesheim “ kenne ich natürlich nicht. Wenn aber jemand den Eindruck zu erwecken sucht, eine Dienstleistung sei kostenlos, dann aber mit einer Rechnung vorstellig wird und Zahlungsdruck ausübt, dann finde ich die Anwendung des Betrugparagraphen nicht erst durch mühsame Interpretation gegeben. Zumal ja auch der Versuch strafbar ist.

    2. 2
      Ingo says:

      Die andere Stelle, ander darüber geredet wird, wird dann wohl das BVerfG sein (jedenfalls wenn etwas bewegt werden soll).

      In Anbetracht der Zurückhaltung des BVerfG, was den Schutz von Kriminellen angeht, dürfte das wohl eher ein recht knapper Nichtannahmebeschluss werden.

      Alles andere würde mich ernsthaft überraschen.

    3. 3
      Caron says:

      Naja, Ihre Mandanten haben bewusst Leute geschädigt, und wussten sicher auch, dass sie sich damit in einer „Grauzone“ bewegen. Grauzonen haben so an sich, vor Gericht dann irgendwann einigermaßen weiß oder schwarz zu werden. Vor diesem Hintergrund von „Nulla poena sine lege“ zu sprechen, ist dann IMHO doch .. gewagt.

    4. 4
      roflcopter says:

      Kein Wunder dass die Gesellschaft immer mehr verdummt, wenn eigenes Nachdenken nicht mehr erwartet wird weil man ja sofort jeden bestraft ;)

      Überall fleißig die „Ich habe die AGB gelesen“ Häkchen setzen und dann rumjammer. Gut ich les mir die Dinger auch nie durch hatte aber per Suchfeld immer nach „€“ Euro oder Zahlung etc. suchen lassen.

      Früher hat man sowas aus Lehrgeld bezeichnet, wenn der grade frisch 18 Jährige unerkannt Verträge abschließt oder Kündigungsfristen verpennt. Heute ists dann wohl eine Straftat

    5. 5
      DasKrümelmonster says:

      AGB sind AGB und keine Preisliste. Die Zahlungspflicht dort zu verstecken ist unfair und deshalb mit gutem Grund nicht zulässig. (AGB dürfen i.a. keine überraschenden Klauseln beinhalten.)
      @roflkopter: Zur Sicherheit solltest su AGB schon durchlesen, sonst steht da noch „Der Kunde wird verpfichtet, dem Unternehmen monatlich eine Facebook-Aktie zu übertragen, oder deren Wert zu erstatten.“ :-P

      Wertlose Dienste gegen Geld anzubieten, und dieses dann gezielt zu verschleiern, bedeutet ja nicht anderes als damit Geld zu machen, dass man andere verarscht. Und daraus dann noch ein schönes Geschäftsmodell machen… nein danke.

      Wenn man in den Supermarkt geht, und Käsewürfel mit Zahnstochern sieht, dann greifen ja auch viele Leute zu. Und wenn jetzt am Eingang des Supermarkts in den AGB steht „Proben mit Zahnstocher kosten 10€“ dann wäre auch Keiner bereit dafür zu zahlen. Und der Versuch, sich am Vermögen der leichtgläubigen Kunden zu bereichern, wäre schon deutlich vorhanden.

    6. 6
      Alex says:

      Also für den Laien sieht „Abo-Vereinbarung unter dem Bildschirmrand verschwinden lassen“ (oder im Kleingedruckten oder sonstwo) schon aus wie „Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen“. So mühsam finde ich die Interpretation jetzt nicht ;)

      ..und irgendwo habe ich zudem mal gehört dass man im Strafrecht immer immer immer und ausschliesslich den Wortlaut des Gesetzes heranzieht..zumal bei teleologischer Auslegung wohl noch weniger Zweifel aufkommen dürften..

    7. 7
      shabazz says:

      Woher weiß Caron (Post 3), dass „Ihre Mandanten bewusst Leute geschädigt haben“?
      Und um das Supermarktbeispiel zu nehmen, ist doch die Frage, wo die Grenze zwischen „ich möchte nicht, aber ich wurde darauf hingewiesen“ und gezielte Täuschung, weil der Hinweis fehlt oder so versteckt ist, dass man diesen nicht erwarten braucht.

    8. 8
      ct says:

      Ich sehe hier ganz und gar keine „mühsame“ Interpretation des Betrugstatbestandes:

      Wer online eine Leistung anbietet, die bewusst darauf abzielt, dass User diese zunächst in der Annahme, es werden keine Kosten entstehen, in Anspruch nehmen und im Nachhinein unter Verweis aufs „Kleingedruckte“ eine Forderung geltend macht, der erfüllt den Tatbestand glasklar. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Forderung zivilrechtlich berechtigt ist oder nicht.

      Eine andere Frage ist es, ob dabei der Vorsatz – konkret die Täuschungsabsicht – nachgewiesen werden kann. Insofern vermochte der BGH keine Rechtsfehler bei der Tatsachenfeststellung durch des Tatgerichts zu erkennen. Das kann man für richtig oder falsch halten, aber die Musik spielt bei der Tatsachenfeststellung und nicht bei der Tatbestandsauslegung.

      Nebenbei: Ich glaube auch nicht wirklich, dass die Geschädigten nur einen „geringen Teil“ der Nutzer ausmachen. Es dürfte hier zwei große Nutzergruppen geben: Die die auf das Angebot „reinfallen“ und die, die die angebliche Kostenpflichtigkeit erkennen und von einer Inanspruchnahme der Leistung deshalb absehen. Ganz klein dürfte dagegen die Gruppe sein, die bereit ist ein Entgelt für eine Leistung zu zahlen, die es im Internet an jeder Ecke kostenlos gibt.

    9. 9
      Caron says:

      shabazz: Caron weiß das, weil niemand eine völlig wertlose (und sei es weil an jeder Ecke umsonst erhältliche, sie muss dazu nicht nutzlos sein) kostenpflichtig anbietet und dabei gezielt den Preis versteckt, ohne diese Absicht zu haben.
      Sonst könnte man direkt auch bei jedem Mörder sagen: Klar hat der durch den Tod des Opfers ein Millionenerbe erhalten, aber woher willst Du wissen, dass er nicht 50mal mit dem Messer zugestochen hat, weil er dachte, das wäre gesund für das Opfer.

      Man muss in der Justiz vorsichtig sein mit sowas, aber irgendwo muss der gesunde Menschenverstand einsetzen.

    10. 10

      „In den noch offenen Verfahren mit vergleichbaren Inhalten, insbesondere vor den Landgerichten in Köln und Hannover/Hildesheim, werden wir die Unterschiede herausarbeiten.“

      Na, das nehme ich ja mal amüsiert zur Kenntnis. Bis bald in Hildesheim :-)

    11. 11
      cepag says:

      Kollege Hoenig verteidigt – so ich weiss – in mehrerer dieser Verfahren. Seine formal geführte Argumentation (holzschnittartig vereinfacht: „dort steht alles, wenn es der Interessent es nicht liest, ist es dessen Problem und keine Täuschung über Tatsachen) ist nun nicht leichterhand vom Tisch zu wischen.
      Wenn indessen eine Strafkammer sorgfältig Feststellungen dazu trifft, weshalb die die Gestaltung bis zum Vertragsabschluss so gestaltet ist, dass es darauf an gelegt wird, dass es eben nicht gelesen wird, halte ich die strafrechtliche Täuschung über Tatsachen für vertretbar. Entscheidend werden u. a. sein, wie deutlich die Entgeltlichkeit hervorgehoben ist und ob ob es sich um Dienste handelt, die ansonsten gratis angeboten werden.
      Ich meine, es liegt viel an der Gründlichkeit der Feststellungen der Strafkammer. Mit wischi-waschi-Pauschalbegründungen lässt sich eine Strafbarkeit nicht begründen.

    12. 12

      […] Echo, welches das Urteil des BGH erhalten ist, fiel unterschiedlich aus. So wurde vom Kollegen Hoenig etwa darauf verwiesen, daß der Tatbestand des Betruges durch diese Entscheidung im Interesse des Verbraucherschutzes überdehnt worden sei.

      Dem Kollegen Hoenig ist indes dahingehend zuzustimmen, daß es sich naturgemäß um einen Einzelfall handelt.[…]

    13. 13
      Bilbo Beutlin says:

      Ich bin jetzt mal populistisch. Der BGH (und andere Gerichte) haben immer wieder mal nach dem Motto „auf das Ergebnis kommt es an“ entschieden. Das ist auch ganz richtig so, wenn damit Fehlentwicklungen gestoppt werden sollen. Man mag das juristisch unterschiedlich beurteilen. Aber der BGH hat juristisch per Definition immer Recht. :-)

      Das Thema Abofallen (und nachfolgend die Abzocker mit den Branchenbüchern) bedarf dringend einer Korrektur. Da der Gesetzgeber das nicht hinbekommt, ist es durchaus zu begrüßen, wenn die Gerichte das nun erledigen. Schade finde ich es nur, dass es noch Bewährung gab.

      Und so sehr ich Ihnen, Herrn Hoenig, beruflichen Erfolg wünsche, genauso wünsche ich mir, dass Ihre Mandanten aus dieser Branche ordentlich eins übergebraten bekommen.

    14. 14
      KSK says:

      Einen Beweis, dass es auch nur einen einzigen Verbraucher gegeben hat, der willentlich einen kostenpflichtigen Download-Vertrag geschlossen hat, wird auch Herr Hoenig in seinem Hamburger Fall nicht erbracht haben.

      Zudem haben haben die Gauner ja fast durchgängig urheberrechtlich geschütztes Material gegen Entgelt vertrieben und vervielfältigt, ohne dazu eine Genehmigung zu haben. Entsprechend wurde bei den Verurteilten beschlagnahmtes Geld den Urhebern der Software zugesprochen.

    15. 15
      Tomas Runde says:

      Es gibt Menschen, die sind von sich aus Fair und Anständig.
      Für die anderen gibt es Gesetze.
      Es ist ja auch weithin bekannt, das nicht alle Juristen zu den Anstängen gehören. Bekannte Namen sind z.B. G. v. Gravenreuth, O. Tank, K. Günther, M. Braun, …

    16. 16
      wrdlbrmpfts says:

      Zum Glück gibt es noch die freie Wahl des Schwarzkittels.