Gescheiterte Fleißarbeit

Das Landgericht Bielefeld hatte erst einmal Glück. Die Angeklagten, denen ein gewerbsmäßiger Bandenbetrug zur Last gelegt wurde, hatten sich – im Rahmen einer Verständigung (vulgo: Deal), § 257c StPO – geständig eingelassen. Das hat die Beweisaufnahme entschieden abgekürzt. Man war also zügig durch’s Verfahren gekommen und die Richter hatten ausreichend Zeit, das Urteil zu schreiben. Der Umfang dieses Urteils lag bei rund 5.000 Seiten:

Es wurden bei insgesamt 136.890 Betroffenen (teilweise mehrfach) Beträge im Lastschriftverfahren eingezogen, die im angefochtenen Urteil auf 4.885 Seiten im Einzelnen in Tabellenform aufgeführt sind.

berichtet der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 22.05.2014 (4 StR 430/13) (S. 9).

Genützt hat es nix. Das Urteil wurde in den Strafaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Ich fürchte, der Berichterstatter (so heißt der eine von drei Richtern beim Landgericht, der das Urteil schreibt) wird an dieser Entscheidung des BGH nicht die rechte Freude haben. Denn es in dem Urteil des Revisionsgerichts heißt es neben anderer Kritik auch noch:

  • Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen …
  • … vermögen die Urteilsgründe ebenfalls nicht hinreichend zu vermitteln …

Fest steht demnach: Nicht nur die beim Landgericht Bielefeld durchgeführte Beweisaufnahme war zu schlank, sondern es fehlten – trotz der 5.000 Seiten – wesentliche Informationen im Urteil.

Manchmal, aber nur manchmal, tun mir Richter richtig Leid.

Dieser Beitrag wurde unter Cybercrime, Richter veröffentlicht.

8 Antworten auf Gescheiterte Fleißarbeit

  1. 1
    Alan Shore says:

    Und offenbar wünscht der BGH eine noch mildere Strafe (vgl. Ziffer III., Rn. 32). Mir tun immer die Mandanten leid, die wegen „nur 20-30“ Betrugsversuchen vier Jahre erhalten, wenn man mit 200.000 Versuchen nicht schlechter weg kommt.

    Es erweist sich immer wieder, daß „kleine“ Straftaten zu hart und schwere Straftaten zu milde bestraft werden. Wie soll man einem Mandanten vermitteln, das es für ein Rauschgiftgeschäft über ein paar Gramm oder ein paar Balkonpflänzchen u. U. ein Jahr Freiheitsstrafe gibt, für ein paar hundert Kilo aber nur vier? Entsprechend gilt das für Betrugsschäden, Steuerhinterziehung, Diebstahl, etc.

    M. E. sind relativ hohe Strafen bei „kleinen“ Straftaten nur zu rechtfertigen, wenn man bei schweren Straftaten den gesetzlichen Strafrahmen ausschöpft. Daß sich die meisten Freiheitsstrafen (so Freiheitsstrafen auszusprechen sind) immer im Bereich von 1 bis 5 Jahren bewegen, gleichviel was vorgefallen ist, ist kaum nachvollziehbar.

    • Lieber Alan Shore, das dahinter stehende Prinzip ist hinlänglich aus dem Groß- und Einzelhandel bekannt und wird landläufig als „Mengenrabatt“ bezeichnet. crh
  2. 2
    RA H says:

    Alan Shore: Fordern Sie das die Strafen proportional steigen?
    Wieviel schwerer wiegen denn 200.000 Versuche gegenüber ,,bloß“ 20, 100kg gegenüber ein paar g? Und sollen diejenigen Kriminellen einen Bonus bekommen, weil sie selbst ihre Straftaten schlecht planen?

  3. 3
    K75 S says:

    „?Lieber Alan Shore, das dahinter stehende Prinzip ist hinlänglich aus dem Groß- und Einzelhandel bekannt und wird landläufig als „Mengenrabatt“ bezeichnet. crh“

    Danke für den Hinweis. Damit wird vieles klarer …

    z.B. warum übereifrige Ordnungshüter, deren z.T. gefesselte Verdächtige sich selber einfach so Abschürfungen und Prellungen beibringen, weil sie ohne fremdes Zutun mehrfach gegen Wände und Türen laufen, regelmäßig mit 10-11 Monaten auf Bewährung davonkommen.

    Es liegt am Mengenrabatt.

  4. 4
    \pub\bash0r says:

    @RA H: Ich denke, in vielen Fällen lässt sich einigermaßen abschätzen, wie kriminell jemand ist. Fliegt ein Betrüger (nach 20 Versuchen) auf, aber die Art der Masche lässt vermuten, dass er weit weit mehr wollte, braucht man vlt. nicht gleich Samthandschuhe anziehen.
    Erwischt man hingegen den (Achtung, Klischee) langhaarigen Studenten mit einer Hanfpflanze auf dem Balkon und paar g Gras in der Wohnung, braucht man wohl eher nicht davon ausgehen, dass daraus ein Dealer im großen Stil wird. (Wenn das dann später mal so wäre, kann man ihn dann immernoch dafür bestrafen. Im Moment jedoch geht von sojemandem wohl eher keine Gefahr aus, die eine Freiheitsstrafe rechtfertigen würden, oder?)

  5. 5
    Hans A. says:

    @K75 S: Das ist aber natürlich kein gewöhnlicher Mengenrabatt, denn einzelne Beamte werden ja nur selten mehrmals das Ziel von Ermittlungen. Es ist ein Großkundenrabatt analog zu dem hier bei der Bahn: http://de.wikipedia.org/wiki/Bahn.corporate

  6. 6

    …4.885 Seiten im Einzelnen in Tabellenform…

    Vermutlich hat die Tabelle ein gequälter LKA-Beamter angefertigt und das Gericht hat sie nur kopiert & eingefügt. Vielleicht war es sogar ein Referendar….

  7. 7
    Hans says:

    Na da kann man nur hoffen, dass der „gequälte LKA Beamte“ bereits im digitalen Zeitalter angekommen ist und das LG die Tabelle nicht von einem Ausdruck abtippen musste.
    Immerhin würde dann wenigstens der Behördeninterne Datenverkehr im digitalen Zeitalter angekommen sein.

  8. 8
    Miraculix says:

    Das war doch in Bielefeld – die tippen sowas ab.