Armer Zeuge – Oder: Wie man sich Freunde macht

Derjenige, der sich am ehesten darüber ärgert, daß er im Rahmen eines Strafverfahrens seiner staatsbürgerlichen Pflicht nachkommt, ist der Zeuge. Mit diesem Beitrag möchte ich die Umfrage vom heutigen Vormittag beantworten.

499444_web_R_by_siepmannH_pixelio.deWie es einer Zeugin ergehen kann, die sich hilfsbereit zur Verfügung gestellt hat, berichtet Sebastian Heiser in der taz. Eigentlich wollte sie nur einem armen Rollerfahrer dabei helfen, zu seinem Recht zu kommen. Statt dafür Lob, Dank und Anerkennung zu erhalten, findet sie sich in einem kafkaesten Verfahren wieder und hat nun einen finanziellen Schaden, den der Molloch Moabit und seine stumpfen Rechtspflegel ihr nicht ersetzen wollen.

Die Konsequenz aus dieser Geschichte beschreibt Sebastian Heiser:

Melanie Knies sagt, sie werde sich in Zukunft gut überlegen, ob sie sich bei einem kleineren Verkehrsunfall noch einmal als Zeugin zur Verfügung stellt.

Ich bin sehr sicher, diese Überlegung stellt diese arme Zeugin künftig nicht nur bei kleinen Unfällen an.

Das Thema hatte ich vor ein paar Monaten bereits anhand eines anderen Falls besprochen. Es ging um eine Fahndungslüge, die zu sizilianischen Verhältnissen geführt hat.

Die Fortsetzung dieser Geschichte entwickelte sich für den polizeilich belogenen Zeugen noch höchst unerfreulich.

Er war nun vor Gericht und wollte aber nicht mehr aussagen. Statt dessen schimpfte er – zur Recht, wie ich meine – lautstark über den lügenden Polizeibeamten (und über mich, aber das ist ein anderes Thema) und wurde schließlich unter Androhung empfindlicher Übel vom Gericht dazu gezwungen, das auszusagen, was er dem Lügner Polizeibeamten bereits freiwillig anvertraut hatte.

Ein paar Termine später platzte der Prozeß (wegen Erkrankung eines Richters) und die Beweisaufnahme mußte wiederholt werden. Der Zeuge bekam erneut eine Ladung. Es war zu erwarten: Er erscheint kein zweites Mal freiwillig vor Gericht. Deswegen beantragte die Staatsanwaltschaft ein Ordnungsgeld.

Zusammen mit dem Ordnungsgeldbeschluß bekam der Zeuge dann eine erneute Ladung. Und er erschien wieder nicht. Er hatte schlicht die Faxen dicke. Aber aus der Nummer wollte (und konnte) das Gericht ihn jetzt nicht mehr rauslassen.

Deswegen wurde er zu einem weiteren Termin morgens um halb Sieben von freundlichen Polizeibeamten …

Ziehen Sie sich mal schnell was über, Sie kommen jetzt mit!

… aus dem Bette geholt und ohne Caffè zum Gericht gekarrt.

Da nun zum einen sicher gestellt werden soll, daß der Zeuge jetzt nicht doch noch im Gericht abhaut, andererseits seine Vernehmung erst gegen 11 Uhr angesetzt war, sperrte man ihn in eine Vorführzelle: 1 Meter mal 2 Meter, halbdunkel, ein Brett als Sitzmöglichkeit, Stahltür. Moabit live aus dem 18. Jahrhurndert eben.

Gegen 11:30 Uhr wurde der Zeuge dann von zwei (einer reichte nicht aus, um seinen Zorn zu bändigen) Wachtmeistern aus der Zelle geholt und in den Gerichtssaal gebracht. Bis 12 Uhr hat sein Gezeter gedauert, dann ging ihm die Puste aus. Er machte seine Vier-Satz-Aussage und war „mit Dank entlassen“. Ohne Fahrgeld, zurück in den Wedding. Zu Fuß.

So geht unsere Justiz mit dem Wertvollsten um, das ihr in den meisten Beweisaufnahmen zur Verfügung steht. Sie hindert die Zeugin am Geldverdienen, verweigert ihr den Ausfall-Ersatz (so wie in dem von Heiser geschilderten Fall) oder wendet Zwang an und sperrt ihn in dunkle Löcher (so wie in dem von mir beschriebenen Fall).

Es gibt weitere, zahlreiche üble Unarten, wie die Gerichte Zeugen traktieren. Ich bin nicht weit von der Warnung entfernt, sich als Zeuge in einem Verfahren zur Verfügung zu stellen. Dazu aufrufen, sich freiwillig als Beweismittel zu melden, werde ich aber auch nicht.

Nebenbei:
Es ist nicht auszuschließen, daß die Zeugin Melanie Knies wegen desselbens Unfalls, den sie beobachtet hat, nochmal zum Gericht muß: Vielleicht in der Berufungsinstanz zum Strafgericht. Oder zum Zivilgericht, weil der Rollerfahrer gegen den Unfallgegner klagt. „Mein“ Zeuge wird eher nicht mehr gebraucht.

Bildquellenangabe: siepmannH / pixelio.de

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7 Antworten auf Armer Zeuge – Oder: Wie man sich Freunde macht

  1. 1
    T.H.,RiAG says:

    Manch einem Zeugen könnte man die Reise zum Gericht wegen einer „Vier-Satz-Aussage“ auch ersparen, wenn der eine oder andere Verteidiger Vorschriften wie den § 251 Abs.1 Nr.1 StPO nicht aus Prinzip zu Teufelszeug erklären würde….

    Im Übrigen lassen sich – teils mehrfache – Umladungen einfach nicht immer verhindern, sei es weil ein Termin wegen Verhinderung anderer Zeugen oder wegen einer Terminkollision des Verteidigers o.ä. verlegt werden muss, und wenn ich auch durchaus Verständnis für den Unmut von Zeugen habe, die eine Stunde warten und dann, wie in dem taz-Artikel beschrieben, erfahren, sie würden „nicht mehr benötigt“, lässt sich auch dies oftmals nicht vermeiden, weil die Hauptverhandlung nun einmal nicht arm an Überraschungen ist und es nicht selten vorkommt, dass der zuvor vehement bestreitende Angeklagte im Termin unerwartet und im völligen Gegensatz zu seinem bisherigen Vorbringen ein 1a-Geständnis ablegt oder seinen Einspruch auf die Rechtsfolgen beschränkt.

    Zur Lästigkeit mancher Kostenbeamten sage ich allerdings lieber nichts.

    • Den letzten Satz nehme ich auf in meinen Zitatenschatz – Kategorie: Mutige Worte eines Richters. ;-) crh
  2. 2
    matthiasausk says:

    Ich empfehle als Zeuge das OLG Oldenburg!
    Da bekam ich bei einem derartigen 09:00-Termin mit nicht beötigter Aussage anstandslos 600 km Anfahrt, Übernactng (nachgewiesen), Ausfall sofort bar ausgezahlt.

  3. 3
    le D says:

    @T.H.: „Im Übrigen lassen sich – teils mehrfache – Umladungen einfach nicht immer verhindern“

    Geschenkt und völlig klar.

    Aber: es ist (auch wenn das für Gerichte nicht ansatzweise vorstellbar ist) alles andere als Lebensfremd, dass ein Selbständiger nicht innerhalb von zwei Wochen neue Arbeit akquirieren kann. Und 4 oder 6 oder mehr Monate später dann Nachweise zu erbringen ist schlicht ein Ding der Unmöglichkeit.

  4. 4
    T.H.,RiAG says:

    @le D

    Aber das habe ich doch auch gar nicht behauptet.

  5. 5
    veri says:

    Wobei man auch sagen muss, …

    • Nein. Muß man nicht. Jedenfalls nicht hier. crh

  6. 6
    Rudi says:

    Nun ja. Es liegt ja wohl ein Mitverschulden des Zeugen vor. Spätestens nach Erlaß des Ordnungsgeldbeschlusses hätte ihm irgendwie klar sein dürfen, daß das Gericht ihn unbedingt und ganz ganz sicher bei sich haben will. Er fühlte sich aber schlauer. Das ist in Ordnung so, ja, völlig okay. Die Konsequenz war dann aber halt, daß er die Konsequenzen zu tragen hatte. Vorführung, Zelle, Gerichtssaal, Aussage. Das ist auch in Ordnung so. Verhalten –> Konsequenzen. Da hab ich irgendwie wenig Mitleid.

  7. 7

    @ Matthiasausk

    Warum wsollte man die Übernachtung „nachweisen“?
    Ist ja wohl das letzte.
    Die sollten einen Pauschalbetrag zahlen. Für Anreise UND Übernachtiung!

    Und zwar für die Bahn (ICE sollte bei langer Strecke aber drin sein) 2. Klasse.
    Übernachtung so hoch, dass ein Hotel dafür IMMER zu finden ist.

    Und wenn ich dann mit dem eigenen Erdgas-Auto anreise, und darin schlafe, ist das auch in Ordnung.
    Auch wenn ich mit dem 6,5kg/100km-Auto auf 100km ca. €6,50 Kosten habe, und alle 5 weiteren Sitze (Multipla mit zwei Beifahrersitzen) mit Mitfahrern besetzt sind die evtl. pro Mifahrer den „Flinc“-Preis zahlen. Der so etwa bei um €6,5/100km liegen könnte.

    Das fände ich absolut legitim.
    Auch wenn der Fahrer bei jeder Fahrt von z.B. 800km €200 über den Spritkosten liegt.
    Um mögliche Steuerpflichtigkeit geht es hier ja nicht.