Wattebällchen für den Polizeichef

Das Landgericht Traunstein hatte festgestellt,

dass der Mann im vergangenen Jahr beim Rosenheimer Herbstfest den Kopf eines gefesselten, damals 15-jährigen Jugendlichen auf der Wache des Rosenheimer Volksfestes gegen die Wand schlug, das Opfer trat und ohrfeigte. Der Schüler hatte bei der Gewalttat des leitenden Beamten im Herbst 2011 eine stark blutende Platzwunde an der Lippe davongetragen. Ein Schneidezahn brach, andere Zähne wurden geschädigt.

berichtete der Bayerischer Rundfunk am 27.11.2012.

Dafür hat sich der (wohl zu Recht ehemalige) Rosenheimer Polizeichef eine Freiheitsstrafe von – na, raten Sie mal, ja genau: 11 Monaten gefangen. Auf Bewährung.

Dazu ein wenig Hintergrund:

Es handelt sich um eine (einfache!) Körperverletzung im Amt nach § 340 StGB. Dafür gibt es eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Es sei denn, das Gericht meint, es sei ein minder schwerer Fall, dann kann es auch nur eine Geldstrafe werden.

Das Mit-dem-Kopf-gegen-die-Wand-Schlagen ist keine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren). So habe ich die herrschende Meinung jedenfalls im Studium kennen gelernt:

Ob jemand dem Opfer einen Stein auf den Arm schlägt oder das Opfer mit dem Arm auf einen am Boden liegenden Stein schleudert und dadurch dieselbe Gefahr eines Knochenbruchs bewirkt, macht einen Unterschied.

Frei zitiert nach BeckOK StGB § 224, Rdz. 31.

Warum nun gerade 11 Monate?

Das könnte einen beamtenrechtlichen Grund haben: Nur einen Monat mehr, dann gibt es einen neuen Kunden beim Arbeitslosenamt. Das regelt § 24 BeamtStG:

Wenn […] ein Beamter im ordentlichen Strafverfahren durch das Urteil eines deutschen Gerichts […] wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr […] verurteilt wird, endet das Beamtenverhältnis mit der Rechtskraft des Urteils.

Das muß man als Strafverteidiger wissen, wenn man einen Beamten verteidigt. Und auch als Richter, wenn man die Höhe der Freiheitsstrafe auswürfelt.

Für den Rosenheimer Beamten auf Lebenszeit bedeutet das Urteil:

Er verbleibt im Dienst und nach Ablauf der Bewährungszeit wird ihm die Strafe erlassen (wenn er nicht erneut einen Hernawachsenden krankenhausreif prügelt, bzw. dabei erwischt wird). Im Verhältnis zu der aufgeplatzten Lippe und dem abgebrochenen Schneidezahn eigentlich ein Supersonderpreis, wenn ich das mal mit den Urteilen vergleiche, die sich meine psychisch kranken Mandanten wegen einer Prügelei am Kottbusser Tor fangen.

Ob dieses Ergebnis auf die Qualität der Arbeit des Verteidigers, auf die Einstellung des Richters zum Berufsbeamtentum oder aber auf den Corpsgeist und die Vergeßlicheit der feinen Kollegen des Schlägers zurückzuführen ist, wird nicht berichtet. Bemerkenswert (sic!) ist noch, daß der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten beantragt hatte.

Ende der Geschichte? Aber nicht doch!

Der Spiegel berichtete am 4.12.2012:

Gewalttätiger Polizeichef akzeptiert Urteil nicht.

Ein Verhalten, daß offenbar noch nicht einmal sein Verteidiger billigt. Nach dem Urteilsspruch wird der Kollege zitiert: „Ich denke, wir könnten damit leben.“ Wenig später teilte er dann mit, daß sein Mandant „das Urteil einer Überprüfung unterziehen“ wolle. „Sein Mandant„, er auch?

Aber vielleicht wird das Ergebnis dieses Strafprozesses dann doch noch in einen adäquaten Rahmen gestellt: Denn nach Rechtskraft erwartet den „Prügel-Bullen“ noch ein Disziplinarverfahren, das durchaus zu spürbaren Rechtsfolgen führen könnte. Die Hoffnung stirbt zuletzt …

Dem, der das Thema ein wenig vertiefen möchte, sei die Lektüre der Süddeutschen Zeitung empfohlen.

Bild: Petra Dirscherl / pixelio.de

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19 Antworten auf Wattebällchen für den Polizeichef

  1. 1
    Caron says:

    Das normative Problem sind, fürchte ich, nicht die zu laschen Regeln, sondern die zu harten.* Knackpunkt ist der Verlust der Pensionsansprüche. Das ist ein harter Brocken, bei dem selbst ich zögern würde, das für einen Moment im Leben einer Person zu veranlassen. Ich halte das auch nicht für fair. Fair wäre eine Entlassung und entsprechend anteilig gezahlte Pension. Mit der „Einstellung des Richters zum Berufsbeamtentum“ oder „Corpsgeist“ hat das meiner Ansicht nach wenig zu tun.
    Da die Regeln so sind, wie sie sind, hätte ich wahrscheinlich genauso gehandelt (oder nur mit der deutlichen vorherigen Ankündigung anders, dass es mit offenerem Verhalten bezüglich des Tathergangs zu vermeiden wäre). Gleichzeitig erwarte ich aber vom Disziplinarverfahren, dass der Mann so schnell nicht wieder in einer Position landet, die auch nur entfernt irgendwas mit Führung, höherer Gehaltsstufe und am Besten auch Zivilistenkontakt zu tun hat.

    “ Gleiches Problem übrigens mit maximalen Anzahlen von Prüfungswiederholungen im Studium. Vor allem in den „familiäreren“ Studiengängen führt das regelmäßig dazu, dass auch der letzte Idiot beim dritten versuch durchkommt.

  2. 2
    JLloyd says:

    Da bekommt die Königlich-bayrische Regionalkammer des BGH einmal mehr die Gelegenheit zu demonstrieren, dass der Rechtsstaat in Bayern allenfalls nominell angekommen ist.

  3. 3
    Thorsten says:

    Bittebittebitte lass die StA auch Rechtsmittel einlegen…

  4. 4
    Matthias says:

    Die StA hat bereits erklärt, dass sie unabhängig vom Rechtsmittelverhalten des Angeklagten keine Revision einlegen werde.
    Die StA hat wie vereinbart, das Kasperletheater bis zum letzten Akt mitgespielt und werden sich nun um ein psychatrisches Gutachten für den Anzeigenerstatter kümmern. Angeblich soll der eine Gefahr für sich und andere darstellen…
    Mein Mitleid mit den verlorenen Pensionsansprüchen hielte sich sehr in Grenzen. Ein entlassener Beramter wird m.W. bei der DRV nachversichert und muss dann wie ein normalsterblicher am Ende seines Arbeitslebens mit einer Altersrente auskommen.

  5. 5
    PensionärBär says:

    @Caron: die zu HARTEN Regeln??? Na dan bin ich aber froh, dass ich jetzt mit meinen Steuergeldern einen gewalttätigen PolizeiCHEF (=Führungsfigur und Vorbild für die Truppe), der offenbar tatkräftig an der Einführung des Polizeistaates mitarbeitet, weiterhin bis zu seinem Ableben durchalimentieren darf. Dass der Herr Null Einsicht hat, zeigt ja die Absicht zur Berufung. Weitermachen, nix passiert…

  6. 6
    FMH says:

    @JLloyd
    Hihi, sie haben wirklich eine enorm ökonomische Art zu kommentieren. Siehe den Kommentar im Lawblog.

  7. 7
    JLloyd says:

    @FMH: Da haben Sie mich bei einem Eigen-Plagiat erwischt ;-) Dafür folgt hier ein eigens für dieses Blog individuell formulierter weiterer Kommentar:
    Der 1. Strafsenat des BGH bekommt die Gelegenheit zu differenzieren, ob er für seine Staatstreue oder seine Staatsanwaltstreue berüchtigt ist.

  8. 8
    Klaus says:

    Der Polizist könnte immer noch in Florida tätig werden, die Qualifikation kann er jetzt gerichtlich nachweisen:
    http://www.heraldtribune.com/article/20111204/article/111139979

  9. 9
    BV says:

    Sind die Bewährungsauflagen bekannt? Das ist doch der (oft) unmittelbar schmerzhafte Teil der Bewährungsstrafe, der gerne übersehen wird.

  10. 10
    Richard says:

    Warum wird eigentlich die Tatsache, dass der Mann Polizeibeamter ist, nicht strafVERSCHÄRFEND gewürdigt?

    – Erst recht er, als Polizeibeamter, hätte doch wissen müssen, das er was verbotenes tut.

    – Seine Ausbildung und Erfahrung müssten ihn doch gelehrt haben, mit solchen Situationen und Menschen professionell und gelassen umzugehen.

    – Der Staat gibt ihm besondere Rechte und Privilegien. Im Umkehrschluss müsste er daher bei der Verletzung dieser Regeln eigentlich härter bestraft werden als der ’normale‘ Bürger.

    Meine Meinung.

    Dem oft gehörten Satz ‚Polizisten sind auch nur Menschen‘ kann ich nur entgegnen: ‚Wer die Hitze nicht verträgt, darf nicht in der Küche arbeiten.‘

  11. 11
    @BV says:

    Sonst wäre es wohl auch keine (Bewährungs-)STRAFE, gell?!?

  12. 12
    JLloyd says:

    @BV: Der gewalttätige (ehem.?) Polizeichef zahlt freiwillig €6.000,- an sein Opfer – das dürfte nicht einmal dessen Anwaltskosten decken.
    @Klaus: Aus den Meldungen der letzten Jahre über Polizeigewalt in Bayern habe ich den Eindruck gewonnen, dass für Polizisten Gewalttätigkeiten gegenüber dem Bürger eher ein Qualifikationsvermerk denn ein Makel sind.

  13. 13
    AusderGlaskugelzitiert says:

    „Die Revision des Angeklagten wird verworfen, da die Prüfung keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben hat.“

  14. 14
    Anon0815 says:

    Das war nicht der erste Ausrutscher des Beamten…

    An dem Einsatz in Rosenheim bei dem eine Familie stark verletzt wurde soll er auch betreiligt gewesen sein:

    sueddeutsche.de/bayern/um…ergisst-man-nie-1.1298407

    Ausserdem soll er bereits einen 14 Jährigen aus Grafing verletzt haben.

    Ausserdem:

    Wie berichtet, soll der Polizist 2002 bei der Münchner Sicherheitskonferenz einen Demonstranten aus dem fahrenden Dienstwagen heraus mit Pfefferspray attackiert haben. Das Verfahren wurde eingestellt. Im Mai 2011 soll er in Rosenheim einen vermeintlichen Rot-Sünder vom Fahrrad gerissen haben. Nur der Radfahrer wurde wegen Körperverletzung angezeigt.

    merkur-online.de/lokales/…lizeichef-mm-1422165.html

  15. 15
  16. 16
    HD says:

    @Richard
    Dass der Verurteilte Polizeibeamter ist, wirkt sich dadurch strafschärfend aus, dass für ihn ein schärferer Strafrahmen als für den Normalbürger gilt.
    In der Strafzumessung auszuführen, strafschärfend sei berücksichtigt worden, dass der Angeklagte Polizeibeamter gewesen sei, dürfte mit Blick auf § 45 Abs. 3 StGB, wonach Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestands sind, bei der Strazumessung nicht besonders berücksichtigt werden dürfen, das Urteil angreifbar machen.

    Ich weiß ja nicht, was vor den Schlägen vorgefallen ist. Der verlinkte Artikel schweigt dazu. Je nach dem, wie der Geschädigte zuvor agiert hat, könnte ich mir durchaus vorstellen, dass ein Normalbürger, der Vergleichbares getan hätte, mit einer geringeren Strafe davon gekommen wäre. Vorausgegangene Provokationen können sich strafmildernd auswirken. Aus der Hand hätte ich bei einem Normalbürger (nicht vorbestraft) auch eine Geldstrafe – vielleicht 270 Tagessätze oder so – noch für angemessen gehalten.

  17. 17
    ro says:

    Hier schimmert doch gewaltiger „Fressneid“ auf die lebenslange Verbeamtung durch. Aber jemanden für sein Leben zu bestrafen ist eben eine ganz andere Sache. Daher sind 11 Monate angemessen. Und gemessen an der Gewattätigkeit, die viele „Mandanten“ ohne Probleme ausüben, ist die Aufregung hier heuchlerisch. Bei jedem Fußballspiel wird mehr geprügelt, da sind aber die „sozialen Probleme“ der armen Fans, hier muss es eben der böse Polizist sein. Lächerlich!

  18. 18
    JJ Preston says:

    @ro
    Seit wann gilt hier Sippenhaft? Also wenn, dann konsequent! Dann sind doch bitte alle Muselmanen Terroristen, alle Polizisten frustrierte Schläger, alle Rechtsanwälte Abmahnabschaum – und alle Deutschen Nazis…

    Wenn ich als Bürger von jemandem erwarten kann, sich lückenlos und sklavisch an Recht, Gesetz und Ordnung zu halten, dann sind es diejenigen, die genau über deren Einhaltung zu wachen haben. Denn kann ich das nicht mehr erwarten, wozu braucht man sie dann noch?

  19. 19
    Grundgesetz says:

    Strafverschärfend finde ich übrigends, das die geschlagene Person gefesselt war.