Wahnsinniges Gürteltier

Wenn gegen eine Person ermittelt wird, legt die Staatsanwaltschaft eine Akte an, die von vorn nach hinten durchnumeriert – paginiert – wird. Das ist gut so und dient der Übersichtlichkeit.

Jetzt kann es passieren, daß gegen dieselbe Person ein Ermittlungsverfahren wegen eines ähnlichen Sachverhalts von einer anderen Staatsanwaltschaft geführt wird. Dann wird dort zunächst auch eine AKte angelegt und paginiert.

Das Ganze wiederholt sich einige Male, so daß am Ende z.B. acht Staatsanwaltschaften jeweils eigene Akten angelegt haben. Alle sauber beschriftet und durchgezählt.

Zwei von den acht Ermittlungsbehörden waren besonders umtriebig, so daß in dem einen Fall zwei Bände (Band I und Band II) angelegt wurden, in dem anderen sogar derer drei (Band I bis III).

Bis dahin ist die Geschichte noch übersichtlich und stellt an die Geschäftsstellen der Staatsanwaltschaften nur durchschnittliche Anforderungen. Lesen, schreiben und zählen im Zahlenraum bis 250 reichen aus.

Nun aber kommt einer der Staatsanwälte auf die Idee, die ganzen Ermittlungsverfahren bei einer Behörde – nennen wir sie mal die StA Kreuzkölln – zusammen zu fassen. Die StA Kreuzkölln hatte bereits auch eine eigene – einbändige, sauber paginierte – Akte, die soll auch die führende Akte bleiben. Die Akten der anderen Staatsanwaltschaften werden dann dieser führenden Akte hinzuverbunden.

Zusätzlich hatten die Kreuzköllner von der StA Münchburg ein paar – so ungefähr 56 – Kopien aus einem anderen, frühren Verfahren bekommen. Diese Kopien trugen die Paginierung 43 bis 99 und wurden in die führende Kreuzköllner Akte eingeheftet, hinter dem Blatt 77.

Danach hatten die Kreuzköllner noch ein paar eigene Blätter angelegt – Beschlüsse, Vermerke und Protokolle. Das erste „eigene“ Blatt trug die Ziffer 78.

Die Paginierung in dieser Akte sah also wie folgt aus: 1 bis 77, dann folgten 43 bis 99 und es ging weiter mit Blatt 78 bis Blatt 186.

Die anderen Bände wurden nun dazugebunden, mit einem Gürtel, daher kommt der Name „Gürteltier“. Die Bände wurden dann mit römischen Ziffern beschrieben, „Bd. II“ bis „Bd. VIII“, wobei einige Akten mit kleinen Buchstaben hinter der römischen Ziffer beschrieben wurden, also z.B. „Bd. VIIa“. Auf all diesen Aktendeckeln (ab Band II) fanden sich dann jeweils zwei Ziffern, die alte und die neue. Eine in schwarz, die andere in blau.

Hier links, das ist das letzte Blatt von „Bd. XI“. Wenn der Leser an dieser Stelle angekommen ist, soll er „Bd. I“ wieder rauskramen und dort weiterlesen. So stellt sich die Staatsanwaltschaft das vor.

Als ich dieses Chaos auf dem Tisch hatte, war ich nicht unversucht, die Blätter aus allen Akten herauszunehmen, einmal kräftig zu durchmischen und dann in einem großen Karton wieder zurück zu senden. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Mischung zu übersichtlicheren Ergebnissen kommt, als das, was mir vorher geboten wurde, liegt bei gefühlten 80 Prozent.

Dieser Beitrag wurde unter Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

11 Antworten auf Wahnsinniges Gürteltier

  1. 1

    Das ist ein altbekanntes Problem bei der StA. Kein vernünftiger Aktenplan. Wenn ich eine ordentliche Akte an die StA schicke und das Gesamtkunstwerk dann mit neu angelegten Sonderheften, die nicht so recht einen Sinn ergeben, zurück bekomme, befällt mich eine leichte Lebenskrise.

  2. 2
    Malte S. says:

    Lustig wirds, wenn die StAen bei den hinzuverbundenen Akten eine neue Paginierung vornehmen, die alte aber nicht durchstreichen. Wenn das dann mit der gleichen Akte bereits zum 3. Mal gemacht wurde, wird der Wahnsinn vollständig (z.B. 20, 210, 47). Ich stelle mir immer das Gesicht eines Justizmitarbeiters vor, dem die Akte auseinanderfällt und er die Blätter anhand der Paginierung neu zusammenfügen muss…

  3. 3
    Matthias says:

    Eine GeRECHTigkeitsersatzhandlung.

  4. 4
    Ö-Buff says:

    Neulich hab ich doch irgendwas von „foliieren“ gelesen. Ist das vielleicht „besser“ als paginieren? ;)

  5. 5
    BV says:

    Was spricht denn eigentlich dagegen, die eigenen Akten soweit unangetastet zu lassen und die hinzuverbundenen als Sonderbände zu führen, die im Moment ihrer Übersendung logischerweise nicht weitergeführt werden? Das erscheint mir auf den ersten Blick noch am übersichtlichsten.

  6. 6
    RpflNiedersachsen says:

    @ BV Genau so wirds gemacht. Nur heißen die nicht Sonderband, sondern behalten ihr „altes“ Aktenzeichen. Fortgeführt wird nur noch das führende Verfahren.

    Also ehrlich: Wo ist das Problem?

  7. 7
    RpflNiedersachsen says:

    @ Malte: Habe ich noch nicht gesehen, ich denke in diesem Fall hilft nur noch Akten verbrennen und vertuschen ;)

  8. 8

    wie wärs mit einem neuen §154x – Einstellung des Verfahrens wegen Verfahrenshindernissen, die durch bürokratisches Chaos entstanden sind?

    Ist der Mehraufwand für das ordnen von Akten eigentlich ansatzfähig?

  9. 9
    PCA says:

    Alter Trick aus der Büropraxis: Eigene Seitenzahlen immer mit rotem Stift – Kopien aus fremden Akten sind immer in schwarz (durch das Kopieren). Dann kommt man mit den Zahlen aus nicht durcheinander.

  10. 10

    Genau aus diesem Grund habe ich beim Bundesgerichtshof beantragt, daß Justizjuristen regelmäßig auf BTM untersucht werden. Gleichheitsgrundsatz im GG, Trucker, Piloten und Sportler werde ja auch untersucht.

  11. 11
    FMH says:

    @Ö-Buff
    Folieren ist soweit ich weiß das gleiche, nur die im Archiv- und Bibliotheksjargon gebräuchlichere Bezeichnung. Dabei wird auch nur jedes Blatt und nicht jede Seite gezählt.