Endlich: Computer im Knast

Seit geraumer Zeit arbeiten findige Köpfe daran, die gesetzlichen Voraussetzungen für die „Elektronische Akte im Strafverfahren“ zu schaffen. Es wird auch noch ein Weilchen dauern, bis diese Früchte dieser Arbeit in der Praxis angekommen sind. Bis dahin arbeitet man mit „praktikablen“ Lösungen.

Während die Brandenburger auch im Bereich Cyber Crime noch immer Papierakten hin- und herschicken, ist man beispielsweise in Hamburg schon in der Wirklichkeit angekommen.

Allerdings sind damit auch ein paar praktische Probleme verbunden, nämlich: Wie bekommt der inhaftierte Angeklagte Kenntnis vom elektronischen Akteninhalt?

In einem Hamburger Verfahren umfaßt die allein die Leitakte mittlerweile 23 Leitzordner, daneben gibt es so ca. 40 weitere „Sonderbände“. Alles fein säuberlich eingescannt und den Verfahrensbeteiligten auf verschlüsselten (TrueCrypt) DVD von der Justiz zur Verfügung gestellt. Und der Häftling?

Ich hatte vorgeschlagen, meinem Mandanten Wilhelm Brause in der Untersuchungshaftanstalt (UHA) einen Laptop zur Verfügung zu stellen. Das war nur für einen begrenzten Zeitraum möglich. In einem Vermerk des Gerichts lese ich:

… teilte heute telefonisch mit, dass die UHA Herrn Brause derzeit keinen Laptop zur Verfügung stellen könne. Die UHA verfüge lediglich über zwei Laptops, die von Untersuchungshäftlingen genutzt werden könnten. Beide Geräte würden derzeit von anderen Häftlingen genutzt und könnten diesen nicht entzogen werden.

Das waren wohl die Piraten, die auch sehr engagiert verteidigt werden.

Ich habe dann von dem Antragsrecht Gebrauch gemacht:

  • Unterbrechung der Hauptverhandlung, bis einer der beiden Laptops wieder frei ist.
  • Hilfsweise Ausdruck eines kompletten Kopiesatzes der Akten, die in einem gesonderten Haftraum gelagert werden, zu dem mein Mandant jederzeit Zugang hat.

Dann aber rief der Richter hier an, nachdem er meine Anträge mit dem Leiter der UHA besprochen hatte. Aus dem entsprechenden Aktenvermerk:

Es bestehe jedoch die Möglichkeit, dass Herr Brause selbst einen Laptop erwerbe, den er in der UHA nutzen könne. Hierzu müsse sein Anwalt nach Absprache mit der UHA veranlassen, dass Herrn Brause das Gerät, das auf einer „Weißliste“ der UHA stehen müsse, direkt vom Hersteller zugesandt bekomme. Vor der Aushändigung an Herrn Brause müsste das Gerät dann noch gesichert werden. Die Zeit zwischen Anlieferung des Laptops in der UHA und Aushändigung an Herrn Brause würde ca. 7 bis 10 Tage betragen.

Es gab noch ein paar Detail-Absprachen zwischen unserer Kanzlei und der UHA. Neun Tage später hatte Wilhelm Brause einen Laptop, den ihm seine Familie gekauft hatte, mit den kompletten Aktenkopien auf der Hütte.

Abends habe ich in den Himmel geschaut, um zu kontrollieren, ob der Mond viereckig geworden ist. Das schien mir bis dahin im Vergleich zum „Laptop im Knast“ die wahrscheinlichere Möglichkeit. Die Zeiten ändern sich …

Dieser Beitrag wurde unter Knast veröffentlicht.

9 Antworten auf Endlich: Computer im Knast

  1. 1
    @vieuxrenard says:

    Ja, die Zeiten ändern sich – auch in Berlin. Gemeinsam mit der JVA Moabit & der Strafverteidigervereinigung arbeite ich gerade daran, einen Laptop zu präparieren, auf dem die U-Häftlinge sich „ihre“ TKÜ-Mitschnitte anhören können sollen. Die werden nämlich ebenfalls auf TrueCrypt-verschlüsselten CD-ROMs geliefert. Das wäre dann sogar mal ein echter Fortschritt bei den Verteidigungsrechten, denn diese Möglichkeit bestand zu analogen Zeiten m.W. nicht.

  2. 2
    RpflNiedersachsen says:

    Aus meiner (kostenrechtlichen) Sicht eine großartige Entscheidung, die hoffentlich weitergetragen wird.

    Im Falle einer Verurteilung wird es aber m. E. n. nicht möglich sein, den Kaufpreis zurück zu erhalten. Etwas anderes könnte aber beim Freispruch der Fall sein. Wenn der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Angeklagten auferlegt werden, dürfte auch der Laptop darunterfallen. Da hier min. 2200-2400 EUR Kopiekosten angefallen wären, dürfte die Erstattung des Laptops sogar günstiger sein. Deren Erwerb fällt schließlich nicht unter den laufenden Geschäftskosten i. S. d. Vorb. 7 Abs. I VV RVG.

    Einen wirklich „passenden“ Gebühren- oder Auslagentatbestand werden sie im RVG aber nicht finden.

    • Ich gehe mal davon aus, daß der Laptop im Eigentum des Angeklagten verbleibt und er ihn bei seiner Entlassung mitnimmt. Insoweit entstehen der Landeskasse – außer für das Handling – gar keine Kosten, weil der Angeklagte/Freigesprochene/Entlassene keine „Auslagen“ hatte. crh
  3. 3
    Frank says:

    Werden auf diesen Laptops dann so Software wie z.B. die Windows-Spiele gelöscht oder kann der Häftling sich damit etwas die Zeit vertreiben?

    • „Zeitvertreib“ im Knast ist keine verbotene Tätigkeit. :-) Die mitgekaufte Software verbleibt auf dem Rechner. crh
  4. 4
    Kai says:

    Es wäre interessant zu wissen, welche Rechner auf der White List sind. Insbesondere Mac-Rechner.

    Und was müssen die Rechner überhaupt erfüllen, damit sie nicht „gefährlich“ sind. Mir fällt da nichts ein.

  5. 5
    RpflNiedersachsen says:

    Rein interessehalber: Wie sieht denn die Ausstattung des Laptops aus? Dass er keinen W-Lan Modul haben darf ist klar, aber wie schaut es mit USB-Anschlüssen aus. Daran lässt sich wunderbar ein W-Lan-Dongle oder Satellitendongle anschließen. Letzterer startet ja ganz ohne Netzwerk ins Internet. Zudem lässt sich auf einem kleinen USB-Stick so ziemlich alles an medialen Daten speichern, was man im Knast ja eigentlich nicht haben will!?

  6. 6
    Lexus says:

    Die Dienstrechner und Laptops der Justiz in vielen Bundesländern werden ja auch so modifiziert, dass sie sicher sind. Das heißt vor allem, dass die USB-Anschlüsse kalt gelegt werden. Anschließend werden Siegel am Gehäuse angebracht. Das sollte also kein Problem sein.

  7. 7
    Daarin says:

    Und darum wahrscheinlich auch die Sache mit der Whitelist. Wäre schon scheiße wenn der der das Gerät manipulieren soll keine Möglichkeit hat das ohne Schaden zu machen.

    Andere Frage: Wenn so etwas damit gemacht wird, muss das auch rückgängig gemacht werden wenn der Mandant rauskommt und das Teil mitnehmen darf?

  8. 8
    doppelfish says:

    Das könnte man ja auch viel einfacher lösen.

  9. 9
    W says:

    Mal davon ausgegangen, Herr Brause wird innerhalb der nächsten, sagen wir, 12 Monate freigesprochen. Wäre dann der Wertverlust, den das Gerät erleidet, weil ein Staatsbediensteter das Gerät aufgeschraubt hat (und z.B. eine Herstellergarantie vernichtet) eine erstattungspflichtige Auslage?

    Und wäre dieses Risiko für geeignete Nachahmerbehörden u.U. motivationshemmend ?